von
Walter Kretschmar
Beim ersten Weltingenieurtag, als Beiprogramm der EXPO
2000, hat der VDI erstmals die Ingenieure weltweit zusammen gebracht und
aufgerufen, endlich die Verantwortung für das, was machbar ist und was
gemacht wird und was gemacht werden muss, als Ingenieure selbst in die
Hand zu nehmen.
Unsere „informierte Gesellschaft", wie sie von
Professor Steinbuch vorhergesagt wurde, ist wirklich nicht nur eingetreten,
sondern um Potenzen übertroffen, gleichzeitig aber unterentwickelt in
ihren Kompetenzen. Das Internet ist eine unbegrenzte Informationsquelle,
doch was man wirklich findet, ist leider meist dem Zufall überlassen. Es
wird alles, aber auch wirklich alles öffentlich diskutiert, nur ob es
wirklich interessiert oder bewegt und vielleicht betrifft, das ist eine
andere Frage.
Was in den Chat-Rooms des Internets so passiert, in
einer quasi vollen Anonymität, naja.
Wo erfährt man heute, vor allem im Geschäftsleben,
was die Leute wirklich bewegt oder interessiert? Im Dorf, wo ich
aufgewachsen bin, da ist man zum Friseur/Barbier gegangen und mit den
echten, aktuellen Themen heim gekommen. Für mich ist heute einer der
interessantesten Plätze das Flugzeug. Steigen Sie ein und setzen Sie sich
gemütlich auf Ihren Platz, schließen Sie die Augen, als ob Sie schlafen
würden und hören Sie ganz bewusst, was so um Sie herum gesprochen wird.
Dies ist eine unglaubliche Fundstelle für die aktuellen Dinge, welche die
Menschen wirklich bewegen. Warum das so ist, das möchte ich lieber den
Psychologen überlassen. Als Ingenieur nehme ich nur die Fakten, die ich
aufschnappe.
Eines der Gespräche war etwa so: „...man darf ja
nicht darüber reden, aber ich habe jetzt einen Zulieferer gefunden, der
macht alles, macht das Logo was immer sie wollen drauf und fertig ist der
Lack..." und so ging das weiter, Sie kennen das sicher.
Ein anderes Gespräch: „..es ist wirklich schlimm,
wir bilden die aus und dann nehmen die unsere Arbeitsplätze weg..."
Ein Gespräch war: „ ...Sie sind aber dumm, warum
kaufen Sie denn diese teuren Ersatzteile immer noch bei..., Sie können
das doch viel billiger haben, gehen Sie doch mal dort hin, wo habe ich
denn nur die Visitenkarte, ach hier ist die Telefonnummer..." Antwort:
„...diese Firma ist schon lange Jahre unser Partner, sicher etwas teurer
im ersten Moment, doch wenn wir etwas Neues brauchen, dann entwickeln die
das für uns in enger Zusammenarbeit und wir sind im Bereich Medizin und
sollte da mal etwas passieren und wir hätten leichtsinnig nur wegen einer
kleinen Einsparung Menschenleben aufs Spiel gesetzt, dann wären wir
ruiniert, deshalb kommt das für mich nicht in Frage…"
Wie steht es mit der Verantwortung der Techniker und
Ingenieure, aber auch der Betriebswirtschaftler und was hat das mit Aus-
und Weiterbildung zu tun?
Man spricht klassisch von den drei wesentlichen
Kompetenzen, die Technologie an oberster Stelle, eingerahmt von der
Organisationskompetenz und der Sozialkompetenz.
1. Technologie
2. Organisation
3. Soziales Umfeld
Die technologische Kompetenz braucht im Moment wohl
nicht erklärt zu werden, das ist der Fokus einer technischen Aus- und
Weiterbildung per Definition. Die Organisationskompetenz umfasst im
Wesentlichen die eigene Arbeitsorganisation, Zeitmanagement und die
Organisation des eigenen Arbeitsplatzes und der eigenen Arbeitsabläufe.
Die Sozialkompetenz liegt in der Fähigkeit, sich im Umfeld der Kollegen
und im Team zu bewegen und seinen Beitrag erfolgreich für das ganze Team
und für sich selbst zu leisten. Wie weit diese Inhalte nun wirklich noch
vermittelt werden, das wäre ein umfassendes Thema, die Wichtigkeit und
auch Notwendigkeit mit zunehmender Bedeutung ist unbestritten. Ich möchte
jetzt hier etwas mehr die Bedeutung der Themen Umwelt, Gesundheit,
Sicherheit und Arbeitssicherheit ins Bewusstsein heben.
Das Problem ist, dass es kein natürliches Bedürfnis
für diese Themen gibt. Wir alle haben ein natürliches Schutzschild,
welches uns in das Gefühl versetzt, mir wird und kann gar nichts
passieren, ich passe ja auf und bin quasi immun. Man nennt dies in der
Arbeitssicherheit auch den Siegfriedseffekt. Dies ist gut und notwendig,
weil wir sonst in der Angst umkommen würden. Leider fehlt uns aber der
sechste oder siebte Sinn, die wirklichen Gefahren wahrzunehmen. Im
Zeitalter der richtig klassischen Mechanik konnte man noch etwas sehen,
und gewisse Maschinen sehen einfach gefährlich aus. Wie ist das mit der
Elektronik oder Chemie oder den Auswirkungen von Bildschirmen und
Telefonen? Entweder wir überreagieren durch emotionale Angstmache oder
wir nehmen eine Gefahr überhaupt nicht mehr wahr, können sie nicht
wahrnehmen. Verstärkt wird dieser Effekt, weil es meist keinen
unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ergibt.
So kann man, mit den heute verursachten Gehörproblemen, durch zu lautes
Hören von "Walkman-Musik" mit den Auswirkungen in 15 Jahren
rechnen. Wer stellt diesen Zusammenhang dann noch her? Noch schlimmer ist
die Lautstärke der Beschallung in Discos. Da es durch diese Effekte keine
natürliche Motivation gibt, sich und andere zu schützen, muss das
Bewusstsein geschaffen werden und die Überzeugung eintreten, dass ein
Problem vorliegt und eine Gefahr vorhanden ist, der man nicht entrinnen
kann und deshalb von allen eine gewisse Vorsicht erforderlich ist und nur
dauerhaft konsequentes Handeln eine Lösung darstellt. Welcher Teenager
wird Ihnen Gehör schenken, wenn Sie ihm sagen, dass schon relativ wenige
Discobesuche ausreichen, um ihm in 10 bis 15 Jahren eine Schwerhörigkeit
zu schenken?
Noch eklatanter ist da das Verhalten zur Umwelt, denn
da sind die Verursacher nicht mehr nur selbst betroffen, sondern meist
anonyme Dritte auch zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt. Richtiges
Verhalten bedeutet nicht nur Verzicht, sondern meist Mühe, und kostet
auch sofort Geld.
Als wichtigstes Thema möchte ich noch aufzeigen, wie
zunehmend mangelndes Wissen bei Facharbeitern zu einem unberechenbaren
Sicherheitsrisiko wird. Neben der absoluten Unbekümmertheit gibt es zwei
wesentliche Verhaltensmuster. Die erste ist: „das tut es auch".
Warum soll ich diese teuren Ersatzteile kaufen, dort um die Ecke gibt es
viel schönere Schrauben und die sind noch viel billiger. Nicht
berücksichtigt sind dabei die vorausberechneten Effekte wie
Zerreißfestigkeit, Elastizität und vieles mehr. In unserer heutigen,
hocheffektiven und ausgereizten Technologie ist für vielfache
Sicherheitsreserven und Redundanzen meist kein Platz mehr. So müssen
Sicherungen oder ähnliches in sowieso notwendige Bauteile integriert
werden.
Das zweite Verhaltensmuster: „viel hilft viel und
besser ist immer besser", wird zur weiteren Gefahrenquelle. Ist jetzt
im Material eine Sollbruchstelle eingebaut, die etwas Schlimmeres
verhindern kann und kommt ein „besser ist immer besser" Experte,
dann braucht es keiner großen Vorstellung, was da passieren kann. Die
Einsparer, die Sorglosen und die Bessermacher tragen in gleichem Masse zur
tickenden und unberechenbaren Zeitbombe bei. Hier hilft nur
Bewusstseinsbildung durch ständige Weiterbildung, durch gezieltes
Training, deshalb werden diese Themen für die nächste Förderphase am
Thai German Institute (TGI) aufgenommen und in alle Trainingseinheiten
integriert. Denn wo ist die Chance und die Möglichkeit besser als hier,
sofort bei den technischen Leuten das Bewusstsein zu schärfen.
In all diesen Beispielen ist keine absichtliche
Handlung vorhanden, doch wie sieht es denn aus im Bereich der gnadenlosen
Kopien von Produkten und vor allem Ersatzteilen, die zunächst meist fast
nicht vom Original zu unterscheiden sind? Eines der besten Beispiele ist
hier Formel 1, dort haben die kopierten Ersatzteile Auswirkungen in
Millionen gekostet, wieweit direkter menschlicher Schaden entstanden ist,
wurde wohl nie untersucht. Es wird heute viel Geld und Mühe aufgewendet,
um zu verhindern, dass nicht originale Ersatzteile in die Fahrzeuge
gelangen. Da ich selbst viele Jahre als Serviceingenieur auf Fehlersuche
war und Gutachten anfertigen und Systeme wieder zum Laufen bringen musste,
könnte ich aus eigener Erfahrung viele Beispiele anführen, wo Firmen
wegen einer geringen Einsparung für Ersatzteile oder an professionellen
Reparaturen dann enorme Aufwendungen zu tragen hatten, um Folge- und
Ausfallschäden zu bewältigen.
Ständige Verbesserungen und Änderungen an laufenden
Systemen sind die Motoren der Innovation, doch gezielt und kontrolliert im
komplexen Zusammenhang der Systeme. Selbst hier können immer noch Fehler
passieren, weil irgendein Effekt nicht bedacht oder berechnet wurde.
Unkontrollierbar werden die Probleme, wenn Teile in die Systeme kommen,
die nicht mehr den originalen Berechnungen entsprechen, meist von den
Originalen nicht ohne umfangreiche Untersuchungen zu unterscheiden sind.
Hier ist nun wirklich die Verantwortung der Techniker und Ingenieure
gefragt, man darf nicht mehr alles machen, was machbar ist. An welcher
Stelle wird heute das Bewusstsein und die berufliche Ethik entwickelt und
die Verantwortung die jeder trägt in dieser Kette der kaum
überschaubaren kausalen Zusammenhänge und Auswirkungen?
Das TGI hat als Konsequenz deshalb das klassische, oben
erwähnte Dreieck der Kompetenzen durch die Aufnahme der Themen Umwelt-
und Arbeitssicherheit zum Viereck gemacht, die Sicherheitseffekte Dritter
werden dabei in dem Thema Umwelt gesehen. Dies ist jetzt zum Diamant des
Technologietransfers geworden:
1. Technologie
2. Organisation
3. Soziales Umfeld
4. Umwelt- und Arbeitssicherheit
In unserer zunehmend komplexeren persönlichen
Vernetzung werden wir zum Element globaler Systeme und verlieren die
individuelle Identität und zuordenbare persönliche Verantwortung. Die
uneingeschränkte Nutzung des Machbaren wird zum anonymen Akt, für den es
kein Gefühl des „dafür Verantwortlichseins" mehr gibt, sondern
nur der unmittelbare Nutzen oder Vorteil gesehen wird. Das Machbare hat
sich um ein Vielfaches schneller entwickelt als die dafür erforderlichen
gesellschaftlichen Spielregeln.
Keiner kann dafür die Verantwortung oder die Aufgabe
alleine übernehmen, dies auf das richtige Maß zu bringen, keiner kann
das alleine bewältigen, denn die Entwicklung hält nicht inne. Wir
müssen eine Art Berufsehre oder Bürgerethik der Aufgeklärten und
Verantwortungsbewussten entwickeln, ansonsten lässt „Brave Neue
Welt" grüßen. Der Rückzug der Lehrer auf die reine Vermittlung von
Wissen und Können ist nicht mehr zu akzeptieren, diese müssen wieder die
Aufgabe übernehmen, ihren Beitrag für die Entwicklung der Verantwortung
zu leisten.
Letztendes sind, so sagen die Gesetze der
Marktwirtschaft, die Käufer diejenigen, die den Markt bestimmen. Wer ist
das? Sind das etwa Sie?