Obwohl Waltraud Kretschmar seit fast drei Jahren hier
wohnt, ist sie eigentlich immer nur auf Urlaub in Pattaya. Nur etwa ein
Drittel des Jahres verbringt sie hier. Sie wohnt in der Nähe des
Ambassador-Hotels in einer traumhaften Wohnung direkt am Strand von Na
Jomtien. Von ihrem Balkon in der 8. Etage sieht es aus, als wäre das Haus
direkt ins Meer gebaut. Der Blick streift ungestört über die ganze Bucht.
Es ist wohl eine der schönsten Wohnanlagen an der Küste. „Wir haben natürlich ein Auto. Aber ich fahre lieber
nicht damit", meint Waltraud. Während der Woche bleibt sie oft zu
Hause. Manchesmal muss sie natürlich gemeinsam mit
ihrem Gatten repräsentieren, wenn hoher Besuch aus Deutschland kommt. An
den Wochenenden unternimmt sie dann weite Ausflüge mit ihrem Ehegemahl. „Es
ist ein wunderbares Leben. Mein Mann geht arbeiten und ich mache Urlaub",
erzählt Waltraud verschmitzt. Ihr Mann ist der Direktor des Thai-German
Institutes. Er wechselte vor fast drei Jahren aus einer leitenden Position
bei Siemens in Deutschland an das TGI und seitdem besucht ihn seine Frau
mehrmals im Jahr für mehrere Wochen. „Diese Aufenthalte in Deutschland
machen es mir allerdings schwer, mich hier richtig einzuleben. Leider werde
ich wohl ständig Gast hier bleiben, obwohl – in letzter Zeit fühle ich
mich wirklich pudelwohl," sagt sie etwas nachdenklich.
Waltraud Kretschmar wurde im Sudetenland geboren. Ihre
Familie wurde nach dem Krieg, wie so viele andere, aus ihrer Heimat
vertrieben und siedelte sich in Oberhessen an. „Wir wohnten in dem
winzigen Dorf, es hieß Obergesäß. Es gab dort nur 18 Häuser. Und
natürlich hatten sie auch nur eine einzige Volksschule mit einer einzigen
Klasse, in welcher dann alle Alterstufen unterrichtet wurden. Meine Mutter
ließ es nicht zu, dass die Kinder in die Realschule im Nachbarort gingen,
denn diese war sechs Kilometer entfernt und es gab keinerlei Transportmittel,"
erinnert sich Waltraud. Auf diese Art etwas eingeengt, bedeutete es für
Waltraud das Himmelreich als sie, gleich nach dem Schulabschluss zwei Jahre
als ‚Haustochter’ in Belgien verbringen durfte. „Es war ein
wunderschönes Leben. Ich genoß diese Zeit." Sie hätte dort für
immer bleiben können, aber Waltrauds Wissensdurst regte sich: sie wollte
sich weiterbilden und einen Beruf erlernen. So ging sie nach Deutschland
zurück und begann in Frankfurt eine Lehre als Krankenschwester. „Ich war
damals erst 17 Jahre alt. Ich wollte Säuglingsschwester werden, doch dafür
war ich zu jung. Als Lehrling der Krankenpflege wurde ich akzeptiert, aber
ich musste das erste Jahr erst einmal im katholischen Krankenhaus ihrer Wahl
saubermachen, bevor ich mit der eigentlichen Lehre beginnen konnte."
Zwei Jahre ging sie zur Berufsausbildung. Damals wurde die Berufsschule noch
parallel zur betrieblichen Ausbildung abgehalten, jeden Tag zwei Stunden.
„Als wir dann Vollzeit arbeiteten, vermissten wir die zwei Stunden ‚Ausruhen’
in der Schule schon sehr," sagt Waltraud. Nachher hing sie noch ein
Jahr Ausbildung als Stationsschwester an. Sie spezialisierte sich auf
Frauenheilkunde und war später auch zwei Jahre lang im Neugeborenenzimmer
des Krankenhauses tätig. „Ich kehrte damit wieder zu meinem
ursprünglichen Plan zurück, Säuglinge zu betreuen. Doch nach zwei Jahren
war es genug. Diese Arbeit ist mit einer gewaltigen Verantwortung verbunden
und sehr anstrengend. Und damals gab es natürlich noch nicht die Mittel,
über die wir heute verfügen," berichtet sie. Die schlimmsten
Erinnerungen hat sie an die „Contergan-Kinder". „Einmal wurde ein
Kind ohne Arme und Beine geboren, es war nur ein Fleischklumpen. Es war
furchtbar." Das schönste Erlebnis war dagegen, als Drillinge zur Welt
kamen. „Es gab überhaupt keine Komplikationen. Es war eine ganz normale
Geburt", sagt Waltraud noch heute begeistert.
Insgesamt arbeitete sie, von 1960 an, 15 Jahre in ein und
demselben Krankenhaus. Dort lernte sie auch ihre zukünftige Schwiegermutter
kennen, die als Hebamme arbeitete. Und kurze Zeit später traf sie in deren
Haus ihren zukünftigen Mann Walter. Sie haben eine Tochter und sind jetzt
schon zweifache, stolze Großeltern. Walter Kretschmar arbeitete schon
damals bei Siemens. Im Jahre 1975 wechselte er nach Erlangen und Waltraud
gab ihre Arbeit auf. Seitdem ist sie Hausfrau. „Walter ist durch Siemens
um die halbe Welt gereist und ich bin meistens zu Hause bei der Familie und
unserem Hund geblieben, habe ihn aber immer regelmäßig besucht." Von
1983-88 lebte sie dann ständig in Kuwait und baute sich mit ihrem Gatten
ein zweites Zuhause in dem heißen Wüstenland auf. Aber auch von dort
folgte sie dem beständigen Ruf Deutschlands. Trotzdem es ein herrliches
Leben dort war. „Es gab viele deutsche Familien dort. Und das Land ist
viel liberaler als zum Beispiel Saudi-Arabien." Als Frau konnte sie
problemlos überall hin und auch mit dem Auto herumfahren. Die Frauen der
deutschen Kolonie trafen sich immer zum Kaffeekränzchen. „Die Araber
waren von forsch auftretenden Europäerinnen immer stark beeindruckt,"
erzählt sie. „Aufgrund der zahlreichen deutschen Familien fand ein reges
Kulturleben statt, der deutsche Kulturverein veranstaltete viele Feste und
sogar die Wiener Sängerknaben kamen zu Besuch in die Wüste."
Dann ging es wieder nach Erlangen zurück und 1995 flog
das Paar nach Melbourne nach Australien, Walter – wie immer – zum
Arbeiten, Waltraud – wie immer - auf Urlaub. „Dies war meine schönste
Zeit im Ausland", sagt sie. „Wir bereisten das ganze Land bis
Neuseeland." In Australien fühlte sie sich nicht als ‚Ausländerin’,
die multikulturelle Lebensweise begeisterte sie.
Kaum zurück in Deutschland, das Paar war sich fast
sicher, dass es ihr letzter Auslandsauftrag gewesen war, rief 1999 die GTZ.
Sie suchten einen neuen Direktor für das TGI in Chonburi, und Siemens
dachte, Walter sei der Beste dafür. Waltraud meint dazu: „Ich war sowieso
immer die treibende Kraft bei seinen Auslandsaufenthalten gewesen. Walter
sagte immer zu seinem Chef ‚Sie brauchen meine Frau gar nicht zu fragen,
ob sie mich fahren lässt. Sie sagt sowieso ja.’" Also ging es wieder
auf Reisen, Walter regelte seine beruflichen Verpflichtungen und Waltraud
kam dann wieder „auf Urlaub" nach. Lange Zeit hatte sie
Schwierigkeiten zu verstehen, was ihr Mann eigentlich für Aufgaben hat: „Für
mich war Entwicklungshilfe immer mit hungernden Kindern irgendwo im
afrikanischen Busch verbunden. Entwicklungshilfe im Bereich der beruflichen
Bildung war mir ganz neu." Sie sagt, die Arbeit hier in Thailand macht
ihrem Mann enorm viel Spaß, weil er hier etwas aufbauen kann. „In
Deutschland hätte er wahrscheinlich Personal abbauen und den Stillstand
verwalten müssen."
Trotz ihrer vielen Auslandsaufenthalte bleibt Waltrauds
Heimat Deutschland. Sie möchte sich später mit ihrem Mann als Rentner in
ihr schönes Haus dorthin zurückziehen und das restliche Leben zusammen mit
ihrer Familie und einem neuen Hund genießen. „Aber das wird noch ein
Weilchen dauern," seufzt sie.