Vater Giovanni ist einer der Leiter des Camillian-Aids-Centers
in Rayong. Er ist Italiener und gibt, auch ohne Amtskleidung als
katholischer Priester, eine imponierende Figur ab. Redselig und wortgewandt,
jovial und menschenfreundlich, gemütlich und vertrauenerweckend ist seine
Ausstrahlung. Vater Giovanni ist nicht „einfach" nur ein Vertreter
des christlichen Glaubens in Thailand, er ist einer jener Menschen, die ihr
Leben und ihre Aufgabe ganz offensichtlich genießen und sich dieser voll
und ganz widmen. Bisher habe ich in Pattaya kaum einen Menschen getroffen,
der so wenig auf seine „Rolle in der Gesellschaft" achtet und so
wenig auf die augenblickliche Befriedigung von Bedürfnissen und
gleichzeitig so lebendig ist wie Vater Giovanni.
Vater
Giovanni hat sich mit Leib und Seele dem Aids-Center verschrieben, es ist
sein Projekt, sein Kind. Im Center leben aidskranke Erwachsene, meist in den
letzten Monaten ihres Lebens, und HIV-infizierte und Aids kranke Kinder, von
denen viele schon mit dem tödlichen Virus geboren wurden. Die 26 Kinder
betrachten Giovanni tatsächlich als ihren Vater und er sie als seine
Kinder. Wenn er über das Zentrum spricht, geht sein italienisches
Temperament mit ihm durch und sein Engagement und seine innerliche
Verbundenheit damit werden deutlich.
Vater Giovanni wurde in Italien in der Nähe von Avila
geboren. Im Alter von 12 Jahren besuchte er ein Ferienlager des Camillus-Ordens.
Die Arbeit der Geistlichen interessierte und begeisterte ihn, so dass er
immer wieder zu den monatlichen Treffen ging und schließlich mit 16 Jahren
dem Orden beitrat. „Ich wollte kranken und armen Menschen helfen, ihre
Leiden zu überwinden und ein besseres Leben zu führen", sagt er. „Der
Orden hat sich genau diese Aufgaben zur Leitlinie gemacht. Wir betreiben
Krankenhäuser, Altenheime, Heime für Behinderte usw." Vater Giovanni
ist jetzt schon seit 20 Jahren Priester. Dass er als katholischer Priester
nicht heiraten und keine Kinder haben kann, betrachtet er als großen
Vorteil. „Ich habe keine Probleme mit einer eigenen Familie und kann meine
gesamte Energie meiner Tätigkeit für die Gemeinschaft widmen. Ich ‚gehöre’
niemandem und habe trotzdem, oder gerade deshalb eine starke Verbindung zu
den Menschen, mit denen ich lebe und arbeite", sagt er.
Der Camillian Orden feiert heuer sein 50jähriges
Bestehen in Thailand. Hierher werden, wie in viele andere Länder auch,
Abgesandte oder besser Missionare geschickt, um den Geist und das Charisma
des Christentums und der Nächstenliebe zu verbreiten. Zu diesem Zweck
gründete der Orden die Cammillian-Stiftung, eine nicht-priesterliche
Stiftung, als rechtswirksame Körperschaft. Eine Lepraklinik in Pratchimburi
und eine Klinik in Bangkok waren die ersten Projekte in Thailand. „Ich
wusste überhaupt nichts von Thailand, als ich vor 17 Jahren hier ankam. Das
erste Jahr lernte ich erst einmal Thai," erzählt Vater Giovanni. „Danach
arbeitete ich abwechselnd bei diesen beiden Projekten, welche es damals
gab."
Als Vater Giovanni in Thailand ankam, war Aids hier noch
kein Thema. „Es war eine fremde, westliche Krankheit der Drogenkonsumenten
und Homosexuellen. Doch 1991 wurde die Krankheit endlich auch in Thailand
als großes Problem wahrgenommen und unsere Stiftung entschloss sich etwas
zu tun." Sie besuchten eine kleine Klinik in Nontaburi in Bangkok,
welche damals als einzige anerkannte Gruppe Aids-Kranke betreute. Was sie
sahen, ließ sie handeln und kurz darauf eröffneten sie ein Heim zur
Betreuung der Kranken, bevor oder nachdem sie in die Klinik gingen. Vater
Giovanni erinnert sich: „Wir betreuten normalerweise etwa 17 Personen
stationär, doch viele Aids-Kranke besuchten uns und ließen sich im Heim
ambulant betreuen. Es war nur ein einfaches Geschäftshaus, doch wir
genossen ein wirklich angenehmes Zusammenleben mit diesen Menschen."
Leider war der Zeitpunkt für ein solches Heim etwas verfrüht. Die „normalen
Menschen" welche in der Nähe wohnten rebellierten dagegen. „Die
Anwohner lehnten unser Projekt total ab. Sie wollten nicht tolerieren, dass
in ihrer Gegend Kranke lebten, und hatten Angst, sich und ihre Kinder
anzustecken. Uns besuchten Vertreter des Gesundheits- und des
Innenministeriums, doch die Bewohner bekämpften uns und es gab sogar drei
gewalttätige Anschläge", berichtet er. Einmal wurden Schüsse auf das
Haus abgegeben und einmal explodierte sogar eine Bombe, die zum Glück
niemanden verletzte.
Die Priester entschlossen sich daher, in eine
ländlichere Gegend umzuziehen und fanden das Grundstück bei Rayong. „Als
wir hier ankamen", erinnert sich Vater Giovianni, „ gab es auf dem
Grundstück noch nichts als Schlangen und Bambus. Aber bereits 1996
eröffneten wir das Aids-Zentrum in Rayong.." Die Stiftung finanziert
sich vor allem aus Spenden aus Thailand und von der Caritas aus der Schweiz,
doch sie erhält auch zahlreiche Spenden von Privatpersonen aus Europa. Das
Zentrum ist Vater Giovannis ganzer Stolz. „Sie können sich nicht
vorstellen, wie schwierig es ist, das Thema Aids zu behandeln und Menschen
dafür zu engagieren. Es ist mit einem großen Stigma versehen. Doch die
Arbeit mit den kranken Menschen ist eine wunderbare Aufgabe", erklärt
er. Die Arbeit der Stiftung konzentriert sich auf vier Gebiete. Begonnen
wurde das Zentrum mit einer Unterkunft für die Betreuung im Sterben
begriffener Menschen. Doch mehr und mehr kamen auch Mütter mit schon HIV-infizierten
Kindern, welche, bei angemessener Behandlung, noch mehrere Jahre leben
konnten. Die Kinder sind wahrscheinlich der erschütterndste Teil der Arbeit
der Priester, obwohl sie ihnen trotzdem die meiste Freude bereiten. Die
meisten der Kleinen wurden von ihren Müttern während deren Schwangerschaft
angesteckt. Eines der Mädchen wurde im Alter von neun Jahren von ihrem
Vater vergewaltigt und mit HIV infiziert. Sie ist jetzt 12 und betreut als
eines der ältesten Kinder ihre Freunde im Zentrum. „Am Anfang war die
Sterblichkeitsrate sehr hoch. Es gibt aber eine sehr positive Entwicklung.
Aufgrund neuer Medikamente kann es zu 95% verhindert werden, dass die HIV-Infektion
von der Mutter auf den Fötus übertragen wird. Und die Aufklärung der
Aids-kranken Menschen führt auch dazu, dass sich viele entscheiden, keine
Kinder zu haben", sagt Vater Giovanni. So ging die Zahl der HIV-infizierten
Kinder in den vergangenen Jahren deutlich zurück. Weiterhin führen die
Priester Aufklärungskampagnen zur Vorsorge durch und betreuen ein Netzwerk
von Aids-Kranken in der Region. „Wir helfen jetzt 25 HIV-Gruppen mit
insgesamt 2.000 Menschen", erklärt Vater Giovanni stolz.
Die eigentliche Leitung des Zentrums hat er allerdings im
vorigen Jahr an Vater Ernesto abgegeben, da es zur Politik des Ordens
gehört, dass die Aufgaben der Priester alle drei Jahre wechseln. Daher hat
er jetzt mehr Zeit, sich der eigentlichen Arbeit mit den Kranken zu widmen.
Außerdem ist Vater Giovanni jetzt auch Koordinator der sozialen
Aktivitäten der Stiftung in ganz Thailand.
Eine der größten Herausforderungen für die
katholischen Priester ist, dass sie hier in Thailand in ihrer Rolle immer
mit buddhistischen Mönchen gleichgestellt werden. „Doch das ist ein
wesentlicher Irrtum: Die buddhistischen Mönche haben das Ziel, von der Welt
und aus dem irdischen Leiden zu entfliehen und sie stehen immer eine Stufe
höher als ihre Mitmenschen. Sie dürfen sich deshalb in der Regel auch
nicht in sozialen Aktivitäten engagieren. Für uns dagegen ist es gerade
der Mittelpunkt unserer Aufgabe, unsere Mission, die Botschaft Christi an
die Armen und Kranken, an die am meisten Vernachlässigten in der
Gesellschaft zu bringen und uns in sozialen Problemen zu engagieren",
macht Vater Giovanni deutlich. Es ist nicht einfach, praktisch gegen die
vorherrschende Kultur der „normalen Menschen" tätig zu werden und
dabei trotz des Bemühens, echte menschliche Werte zu bewahren, die Kultur,
in der sie leben zu unterstützen.
Doch Vater Giovanni ist glücklich mit seiner Aufgabe. „Es ist eine
große Herausforderung, ständig mit diesen kranken Menschen zusammen zu
zein. Doch ich fühle mich so friedvoll und so glücklich, dass ich mit
diesen Menschen arbeiten kann. Es sind die am wenigsten geachteten, die
verlassensten Menschen, und doch sind sie glücklich und dankbar, hier zu
sein und mit uns leben zu können." Und diesen Menschen für den Rest
ihres Lebens zu helfen, ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen
ist das Ziel und der Inhalt von Vater Giovannis Handeln.