Die Familie Malhotra ist in Pattaya mittlerweile sehr
bekannt. „Marlowe" ist der Älteste von drei Brüdern und zwei
Schwestern der Familie. Normalerweise stellt man sich vor, dass es in einer
indischen Familie einen Partriachen gibt. Sollte es nicht mehr der Vater
sein, dann übernimmt der älteste Bruder diese Rolle. Marlowe entspricht
jedoch keineswegs diser Vorstellung. Er ist eher bescheiden, sehr sachlich,
ein Unternehmer, der weiß, was er kann, ohne immer auf seine Leistungen
hinweisen zu müssen. Während einer seiner jüngeren Brüder die Familie
immer nach außen in der Gesellschaft vertritt, bleibt Marlowe lieber der
„ruhige Arbeiter im Hintergrund", wie er selbst sagt. Doch schon als
Jugendlicher war er der Hauptakteur im Familiengeschäft.
Marlowes Vater war im Alter von 9 Jahren mit seiner
Familie aus Indien nach Thailand gekommen. Er engagierte sich später als
Händler von Textilien, Nähmaschinen und Schreibmaschinen in Pitsanulok und
Bangkok. Schon in den 50er Jahren arbeiteten viele Inder im
Schneidergeschäft für die Amerikaner, welche nach dem Krieg als Berater in
Thailand tätig waren. Sie machten dabei den Schneidern aus Hongkong
Konkurrenz und boten die schnelle Anfertigung maßgeschneiderter Anzüge zu
günstigen Preisen. Mit Beginn des Vietnamkrieges, als 50.000 Amerikaner in
Thailand stationiert waren, blühte das Schneidergeschäft. Die Jungen der
Familie waren gerade von ihrer Ausbildung an englischen Schulen in Indien
zurückgekehrt und konnten ihrem Vater einen Großteil der Arbeit abnehmen.
Bereits mit 17 Jahren war Marlowe für das operative Geschäft der Familie
verantwortlich.
Mit dem Abzug der Amerikaner ging den Schneidern die
Arbeit jedoch nicht aus. An ihre Stelle traten die deutschen Touristen,
deren neuer Reichtum erste Fernreisen ermöglichte. Und sie kamen in Scharen.
„Wir hatten unseren Laden ‚Sir Marlowe’im Rex-Hotel in Bangkok,
welches praktisch nur von Deutschen bewohnt wurde. Dort kannten uns alle",
erzählt er. Schon damals war der Laden also nach ihm benannt. „Nun ja",
gibt Marlowe zu, „eigentlich ist das ja gar nicht mein Name." Sein
echter Name ist Dharamjeet, „doch wer kann sich das schon behalten. Ich
war immer vom englischen Dichter Christopher Marlowe begeistert gewesen und
hatte einfach seinen Namen in der Schule angenommen. Und ausgesprochen
klingt er auch wie eine Kurzform unseres Familiennahmens Malhotra." „Sir
Marlowe" klang eindrucksvoll, nach Klasse und britischem Stil, und das
gefiel den Touristen. Doch nicht nur der Name brachte immer wieder neue
Kunden, sondern auch der freundliche, freundschaftliche Stil des
Unternehmens. „Wir bauten mit unseren Kunden eine fast familiäre
Beziehung auf und kümmerten uns um ihre Wünsche", sagt Marlowe.
Doch dann veränderte das Hotel seine Kundenstruktur und
richtete sich nur noch an Gäste aus Arabien. Die durch den Ölboom reich
gewordenen Araber waren aber nicht am Service des Geschäftes interessiert
und wollten nur billige Anzüge kaufen. Deshalb entschloss sich Marlowe, das
Geschäft zu schließen und zu seinen Brüdern nach Pattaya zu ziehen. Vater
Malhotra hatte, in weiser Voraussicht auf den Touristenboom in Pattaya,
bereits 1973 sein erstes Schneidergeschäft in der Fußgängerzone eröffnet
und es – natürlich – „Sir Marlowe" genannt, obwohl seine beiden
anderen Söhne, Peter und Bill dort tätig waren.
„In Pattaya begannen wir, mehrere Geschäfte zu
eröffnen und auch zusätzliche Dienstleistungen wie Reisen anzubieten",
erzählt Marlowe. „Jeder der Brüder ging seinen eigenen
Geschäftsinteressen nach, doch finanziell und moralisch blieb es viele
Jahre lang immer ein Geschäft der Familie." Das Vertrauen zwischen den
Familienangehörigen war so groß, dass neue Geschäftsideen nicht erst
lange diskutiert wurden. Jeder wusste, wozu er in der Lage war, und welche
finanzielle Belastung er der Familie zumuten konnte. „Die Beziehung
zwischen uns Brüdern ist sehr einfach. Vielleicht gerade weil wir so
unterschiedlich sind, hat es nie Probleme in Geschäftsfragen gegeben. Wenn
einer eine neue Idee hatte, sprach er mit den anderen darüber und wir
sagten immer: ‚Nur zu, tu was du kannst.’ Doch wir waren immer eher
konservativ in Geldfragen, so dass niemand übergroße Risiken eingeht",
berichtet Marlowe.
Auch in Pattaya waren wieder die Deutschen, aber auch
Engländer und andere Europäer die Hauptkunden der Familie. „Viele der
Touristen brauchten eigentlich keinen Anzug", sagt Mar- lowe. „Doch
die Kleidung war so preisgünstig, dass alle einen Anzug kauften, da sie ihn
ja irgendwann einmal anziehen würden." Angesichts der Preise ist es
wirklich bedauerlich, dass Thailand in Deutschland nicht als großes
Schneidergeschäft mit Badeurlaub inklusive bekannt ist, denn zwei Wochen
Pattaya und drei Maßanzüge können insgesamt billiger sein als ein
einziger Anzug in Deutschland.
Vor etwa einem halben Jahr eröffnete Marlowe sein
Reisebüro „Massic Travel". Die Familie betreibt die
Schneidergeschäfte „Sir Marlowe" und „Classic", und „Massic"
entstand dann einfach aus der Verbindung der beiden Namen. „Wir sind noch
sehr neu im Geschäft und haben die Nebensaison genutzt, Kontakte zu
knüpfen und verlässliche Geschäftspartner zu finden", sagt Marlowe.
„Im Gegensatz zu den Schneidereien, die praktisch nur ein Produkt anbieten,
hat ein Reisebüro ein gewaltiges Potential." Neben Flugtickets und
Hotelbuchungen werden auch vermehrt Reisen in Thailand und alle anderen
touristischen Leistungen angeboten. Marlowe meint dazu: „Als Schneider
kennen wir die Bedürfnisse der Menschen. Kleidung muss nicht nur gefallen
und auch nicht nur gut sitzen. Die Kunden müssen sich darin wohl fühlen
und sich gern darin zeigen. Wir verkaufen keinen reinen Gebrauchsgegenstand,
sondern ein Lebensgefühl." Diese Philosophie wird er nun auch im
Reisebüro erfolgreich einsetzen. Und er profitiert dabei natürlich von
seinen perfekten Deutschkenntnissen. „Bei unseren vielen deutschen Kunden
mussten wir einfach Deutsch lernen. Anfangs konnten wir nur ‚Schneiderdeutsch’,
doch das verbesserte sich natürlich mit den Jahren."
Marlowe ist seit 26 Jahren verheiratet, seine Frau betreibt noch immer
den ursprünglichen Schneiderladen in der 2. Road, Classic Tailor’s,
welchen er eröffnet hatte, als er aus Bangkok hierher zog. Seine beiden
Kinder, Vicky und Vikrom studieren Management in Bangkok und helfen in ihrer
Freizeit in den Geschäften mit. Marlowes großes Hobby ist die Musik,
besonders die Mischung klassischer asiatischer Rythmen mit moderner
westlicher Popmusik, die in Deutschland als „Weltmusik" immer
beliebter wird. „Leider findet man diese Musik in Thailand praktisch nicht",
meint Marlowe traurig. Auf seinen geschäftlichen Reisen nach Singapur und
Hongkong deckt er sich dann aber immer mit vielen CDs ein. Die Musik, das
Reisebüro und die Schneiderei passen zusammen. Sie sind die Zeichen einer
weltoffenen Lebenseinstellung, die keine willkürlichen Grenzen kennt. „Unsere
Familie ist enorm durch unseren Vater geprägt wurden. Er war ein einfacher
Inder ohne spezielle Bildung, doch er war sehr belesen und besaß eine
natürliche Weisheit. Außerdem hatte er immer Kontakt mit Intellektuellen,"
sagt Marlowe. Die fünf Geschwister wurden alle in Thailand geboren, aber
wie man sehr deutlich bei Marlowe erkennt, spielt die Nationalität
keinerlei Rolle denn wie er so schön sagt: „Wir sind Weltbürger mit
Wohnort in Pattaya".