Kritik
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Bücherwurm

Motts CD Hütte

Bücherwurm: Die Reise nach Trulala

Wladimir Kaminersskurrile Erlebnisse - Über Vorlesebühnen zum Schreiben gekommen

Von AP-Korrespondentin Mirjam Mohr

Frankfurt/Main (AP) „Kommt in die Küche!" so lautet kurz gefasst die Botschaft Wladimir Kaminers. Denn in der Küche sitzen die beiden Helden seines neuen Romans „Die Reise nach Trulala" - er selbst und sein Freund Andrej -, die nach ihrem Weggang aus Russland das neue, lang begehrte „Gefühl der absoluten Reisefreiheit" am besten dadurch genießen können, dass sie erst einmal in der Küche ihres Heims in Berlin-Marzahn sitzen bleiben. Statt in ihr erstes Reiseziel Paris zu fahren, genügt es ihnen vollkommen, Reisegeschichten aus Paris zu hören. „Man muss gar nicht mehr selbst reisen, um andere Völker kennen zu lernen, denn durch die Globalisierung ist die Welt kleiner und alberner geworden", erklärt Kaminer.

Diese ganze große Welt finde in der Küche und in seinen Erzählungen statt, sagt der 35-Jährige, der 1990, ohne ein Wort Deutsch zu können, nach Berlin kam und mit seinem ersten Erzählband „Russendisko" vor zwei Jahren zum Liebling des Feuilletons wurde. „Ich versuche, hinter alles zu kommen, was ich als skurril und nicht zu unserer Gegenwart passend ansehe", erklärt Kaminer seine Arbeit. Die kleinen, pfiffigen Alltagsbeobachtungen seiner früheren Bücher setzt er auch in „Die Reise nach Trulala" fort, das eigentlich kein Roman ist, sondern nur eine weitere Vielzahl kleinerer Geschichten zu mehreren großen Themen zusammenfasst - Reisen beziehungsweise „Nicht-Reisen" nach Paris, Amerika, Dänemark, Sibirien und auf die Krim.

Kaminer besteht darauf, dass er seine Geschichten nicht erfinde, sondern lediglich den Alltag wiedergebe, den er zum Teil aber aus zweiter Hand berichtet. So etwa bei der Geschichte seines Onkels Boris, der in Paris war, ohne jemals die Grenzen der Sowjetunion überschritten zu haben: Als Auszeichnung für „100 der besten Proletarier" durfte er die französische Hauptstadt besuchen, die allerdings nicht in Frankreich, sondern in der südrussischen Steppe angesiedelt war, um zu verhindern, dass die sowjetischen Arbeiter „unvorbereitet allen Verlockungen der kapitalistischen Welt erliegen". Zudem konnte dieses Paris mit Beginn des Herbstregens zügig in London umgebaut werden - eine weitere Attraktion für die nichts ahnenden Elite-Proletarier. Erst ein holländischer Journalist sei schließlich auf den „preiswerten, aber weniger aufregenden" Schwindel gestoßen, woraufhin das russische Paris/London über Nacht dem Erdboden gleich gemacht worden sei, schreibt Kaminer.

Gerüchte über dieses „Paris" gab es tatsächlich schon vor Kaminers Geschichte - so wie auch über den angeblichen Flugzeugabsturz des Künstlers Josef Beuys auf der Krim im Zweiten Weltkrieg, mit dem dieser den Ursprung seiner „Fett und Filz"-Kunst erklärte. Diese von Beuys selbst verbreitete Legende bildet den Anlass für eine weitere Kaminer-Geschichte, in deren Verlauf ein Freund des Autors während einer Expedition zur Krim sich inmitten eines florierenden Reliquienhandels „deutschsprachiger Tartaren" plötzlich Beuys’ Sohn gegenübersieht. „Den unehelichen Sohn habe ich erfunden, das gebe ich zu, aber zu Hause habe ich erstaunliche Beweise für den Rest der Geschichte", sagt Kaminer.

Deutsche sind „unglaublich engagiert"

Zum Schreiben kam Kaminer, den die russische Literatur nie besonders beeindruckt hat, über die kleinen Vorlesebühnen Berlins, bei denen sich junge Autoren gegenseitig ihre Geschichten erzählen. „Dort habe ich angefangen, und ich glaube, das liegt daran, dass das Leben in Deutschland viel öffentlicher ist als in Russland", erklärt Kaminer. Ihm gefalle es sehr gut, dass man in Deutschland gemeinsam in der Kneipe sitze und erzähle, was in Russland nicht üblich sei. „Gemeinsames Fußballgucken in der Kneipe gibt es dort nicht."

Insgesamt seien die Deutschen viel offener als seine Landsleute und „unglaublich engagiert". „Schauen Sie sich doch nur mal die Diskussionen um Politik und Wahlen an: In Russland hat jeder unbewusst eine Anti-Haltung zum Staat, von dem niemand etwas Gutes erwartet, in Deutschland fühlt sich dagegen jeder Anarchist noch als Teil des Systems." Und die Glaubwürdigkeit von Politikern sei in Russland schon gar kein Thema mehr. Was ihn dagegen an den Deutschen störe, sei deren „übertriebener Sinn für Demokratie" - zum Beispiel beim Thema Leni Riefenstahl: „Natürlich ist die Frau ein Arsch, aber ich finde, wenn man erst einmal 100 geworden ist, sollte man alles machen dürfen: Sparkassen ausrauben oder eben auch lügen."

(Manhattan, ISBN 3-442-54542-0, 188 Seiten, 18 Euro)


Motts CD Hütte: Volume 4 – Black Sabbath

von Mott der Hund

***** Wertung: 5 Sterne

Als großer Fan von „Black Sabbath" muss ich Ihnen sagen, wenn Sie nur ein Album von Sabbath haben können, dann sollte es dieses sein. Ich sage damit nicht, dass die meisten Alben von Black Sabbath nicht gut sind. (Wie kann irgendetwas mit Toni Iommi an der Lead-Gitarre schlecht sein?) Tatsächlich sind die ersten sechs durch und durch Klassiker mit „Heaven & Hell", „Born Again" und dem wunderbaren „Re-union". Doch Volume 4 hat es eben alles.

Sie waren schon vor der Veröffentlichung von „Volume 4" internationale Superstars und das Album stärkte ihre Position als weltbeste Heavy-Metal-Band, eine Position, die nie ernsthaft in Gefahr geriet.

Sabbath erholte sich gerade von den Anstrengungen einer Tour und versprach, dass ihr neues Album experimenteller, progressiver und unglaublich härter werden würde als alles, was sie je zuvor gemacht hatten. Das war schon ein hoher Anspruch für eine Band, deren letztes Album der Klassiker „Masters Of Reality" gewesen war.

Der Eröffnungssong „Wheels Of Confusion" war gleich eine Überraschung für Sabbath, denn er dauerte mehr als achteinhalb Minuten. Das war keines dieser verwirrten, schweren, bluesmäßigen Dröhnen, sondern ein gut strukturiertes Epos mit Anklängen eines Rhythmus, der damals als Progressive Rock bezeichnet wurde, nur eben, klar, auf Sabbat-Art gespielt. Er bewies, dass die Band musikalisch und lyrisch voller Ideen steckte.

„Wheels Of Confusion" entwickelt sich aus krachenden Kraftakkorden in eine herrliche Widmung an Sergio Leone, überzogen von donnernden Gitarren.

Anschließend bricht die damals neue Single „Tomorrow’s Dream" durch die Lautsprecher, die erste Single von Sabbath nach dem weltweiten Riesenhit „Paranoid". Der Song ist so kommerziell wie Heavy Metal nur werden kann.

Dann kommt ein echter Schocker, Horror über Horror, Sabbath singt eine Ballade! Und nicht nur eine Ballade, sondern eine Klavierballade, die auf jedem Barry-Manilow-Album Platz hätte. Die Fans waren immer darauf vorbereitet, dass Sabbath mit verschiedenen Stilarten herumexperimentiert, besonders nachdem das hart rockende „Paranoid" ihnen den verdienten Hit und eine Gefolgschaft von Teenagerinnen verschafft hatte. Und doch ist es immer noch erschreckend, sich auszumalen, das die Hörer von Radio 2 (Großbritanniens biederstem Radiosender) diesen Song gemocht hätten, wenn er als Single veröffentlicht und zum Hit geworden wäre.

Doch dann geht es wieder im reinen Sabbath-Stil weiter. Toni Iommi übernimmt die Führung und legt einige seiner besten Heavy-Klänge vor. Allerdings sind es nicht nur ein paar lauter, unmelodischer Elektro-Riffs, denn es gibt noch genug subtilerer Momente, besonders in den beiden Iommi-Solos „FX" und „Laguna Sunrise". Doch Vol 4 zeigt Ozzy in bester grausiger Form. Sie können fast hören, wie die Fransen an seinem Jackett zusammenschlagen, wenn er mit dem Rest der Band in der Hitze des Gefechts aufstampft. Geezer Butler gibt Ozzy nicht nur einige wunderschöne Texte zu singen, sondern legt auch einige Bässe vor, die auf Jahre hinaus die Vorlage für alle Spieler der vierseitigen Gitarre werden sollten. Bill Ward ist der einzige Schlagzeuger für Black Sabbath. Da gibt es keine Frage.

Wenn Sie Black Sabbaths „Volume Four" noch nicht kennen und Ihre Rockmusik heavy und mit echter Aufregung mögen, sollten Sie sich bekannt machen.

Musiker:

Tony Iommi – Gitarre

Geezer Butler – Bass-Gitarre

Ozzy Osbourne – Gesang

Bill Ward – Schlagzeug

Inhalt:

Wheels Of Confusion

Tomorrows Dream

Changes

FX

Supernaut

Snowblind

Cornucopia

Laguna Sunrise

St. Vitus Dance

Under The Sun