Das wissen Sie nicht? Das ist doch ganz einfach zu erklären:
Also, es war einmal in einem tiefen, tiefen Tal, mitten im indischen Punjab
verborgen. Dort lebte Harry Singh Potter in Freuden mit seinem Team von Magiern.
Bei ihnen befanden sich auch viele, viele Schneiderlein. Als deren zu viel wurde,
dachte sich Harry Singh Potter einen besonderen Geck aus und weil er auch
gleichzeitig einem anderen Land, das keine Schneider hatte, helfen wollte,
zauberte er die Überzahl seiner Haus- und Hofschneider schwuppdiwupp mitten in
die Fußgängerzone von Pattaya. Und da waren sie nun, eine Meute von
beturbanten und nicht beturbanten Indern.. Sie bevölkerten die Sois von Pattaya
und Bangkok, nahmen ganze Shopping Arkaden ein und machten sich in
Einkaufszentren breit. Auch in Phuket und Koh Samui war es nicht anders - ein
riesiges Meer an Schneidern soweit das Auge reicht...
von links:
Initator Kurt Krieger, Gastsprecher Marlowe Malhotra und Jörg Machill
Die Herren
beim „Herrenabend"
Genauso fing Marlowe Malhotra mit seiner Geschichte über die
indische Schneiderzunft in Thailand an beim zweiten „Herrenabend", der
diesmal im Woodland’s Resort stattfand.
Allerdings erzählte er dann den g’standenen deutschen oder
der deutschen Sprache mächtigen Mannsbildern, die so an die 20 Stück zu diesem
Ereignis gekommen waren, doch die wahre Geschichte.
Er führte aus: „Die Briten hatten bereits vor langer Zeit
in Indien dafür gesorgt, dass viele Inder in ihre verschiedenen Kolonien nach
Südafrika oder Südostasien gebracht worden waren, um entweder in ihren Minen,
Plantagen oder als unbedeutende Bedienstete ihr Leben zu fristen. Das machte die
meisten natürlich unzufrieden und speziell nach dem zweiten Weltkrieg, als der
Punjab zwischen Indien und Pakistan aufgeteilt wurde, wollten und mussten viele
der Sikhs fliehen. Der Name eines Landes schien ihnen wie ein Licht am Ende des
Tunnels: Siam.
Dieses Land war nicht kolonialisiert, die Regierung
wesentlich toleranter und freundlicher zu Ausländern. Bereits während der
Ayuthaya Periode, vor cirka drei- bis vierhundert Jahren, hatten sich viele
Inder hier angesiedelt. Da diese aus dem Land kamen, welches den Buddhismus, die
religiöse Doktrin der Siamesen hervorgebracht hatte, wurden sie mit dem
nötigen Respekt behandelt. Als sich auch noch herauskristallisiert hatte, dass
die Inder keinerlei politisches Engagement in ihrem Gastland zeigten, wurden sie
ziemlich in Ruhe gelassen, um sich ihren ökonomischen Interessen und
religiösen Praktiken hinzugeben.
Und so folgten viele Inder dem Beispiel ihrer Vorväter und
wanderten nach Thailand aus.
Einige Inder hatten sich im Nordosten und in anderen Teilen
des Landes angesiedelt und sie wandten sich beruflich hauptsächlich dem Handel
mit Textilien zu.
Die große Wende kam während der frühen 60ger Jahre, al die
Amerikaner, stark in den Vietnamkrieg verwickelt, viele Flughäfen und Camps im
Nordosten und auch in Utapao eröffneten. Zu diesem Zeitpunkt gab es niemals
weniger als 60-70000 Amerikaner, die permanent in Thailand stationiert waren und
viele andere, die ihren kurzen 5-Tage-Urlaub von Vietnam hier verbrachten.
Ingenieure der US Armee, die in Phisanulok Straßen bauten,
machten einen Sikh-Gentleman, der sich nach dem 2. Weltkrieg dort niedergelassen
hatte, darauf aufmerksam, dass man Thailand, ähnlich wie Hongkong im Koreakrieg,
zu einem Land der Maßkleidung machen könnte. Gesagt, getan. Der indische
Textilhändler stellte einen riesigen Schneidertisch in seinen Stoffladen.
Nähmaschine? Kein Problem! Er war auch Nordthailands erster Agent für Pfaff
Nähmaschinen. Dieser Mann gründete wahrscheinlich den ersten
indisch-geführten Schneiderladen in Thailand. Das alles passierte im Jahre
1953. Dieser Mann war Marlowe’s Vater.
Von da an ging es leicht: Er hatte eine Menge Seiden- und
andere Stoffe, sprach gutes Englisch und hatte einen angeborenen Instinkt für
Geschäfte. Er heuerte einheimische Schneider an, die nur allzu bereit waren,
ihr bescheidenes Leben aufzugeben. Mit ihrer typischen Beharrlichkeit der
Menschen aus dem Isan, aber auch mit genügend Erfahrung trugen sie dazu bei,
eine neue Geschäftssparte zu begründen.
Die indischen Händler konnten den neuen Bedarf an
handgearbeiteter Maßkleidung zu wesentlich billigeren Preisen produzieren als
die normale Kleidung von der Stange. Das Nähen der Kleidung und die Lieferung
wurden im Rekordtempo erledigt, schneller als man sie in einem Einkaufsbummel
erledigen kann.
Das neue Phänomen, individuelle Handarbeit in großer Menge
und in sagenhafter Geschwindigkeit anzubieten, schuf eine immer weiter wachende
Klientel, die sich, auch als die Amerikaner bereits weg waren, immer weiter
ausbreitete, zuerst in Bangkok und dann in allen anderen Touristenorten
Thailands. Seit diesen ersten Tagen hat sich der indische Schneiderservice in
eine gigantische Industrie verwandelt.
Natürlich kamen immer mehr Inder, aber auch Menschen von
Bangladesh und Pakistan hinzu. Eine große Anzahl an Nepalesen, die in den Minen
an der burmesischen Grenze in Kanchanaburi arbeiteten, kamen nach Bangkok auf
der Suche nach besserer Arbeit und mehr Lohn. Während die Kinder der ersten
Generation der Schneider noch immer zur Schule gingen, waren diese Leute sehr
wertvoll für die indischen Geschäftsleute. Nicht nur, da sie im Wesen große
Ähnlichkeit mit den Indern hatten, sondern außerdem sehr gut englisch sprachen,
was ihnen die Arbeit mit den Touristen ungemein erleichterte.
Die Kinder sind nun aus den Schulen zurück und mittlerweile
selbst erwachsen. Die meisten halfen zuerst im Familiengeschäft mit, lernten
das „Handwerk" von der Picke auf und waren somit bestens vorbereitet ein
eigenes Geschäft zu betreiben. Oft hatte eine Familie mit drei Söhnen gleich
vier Geschäfte. Die Nepalesen, Bangladeschis und Pakistaner waren nach einigen
Jahren als Angestellte ebenfalls firm genug, ein eigenes Geschäft zu beginnen.
Und nun wissen Sie, wie die vielen Schneider wirklich nach
Thailand kamen."
Die Mitglieder vom „Herrenabend" hatten natürlich
anschließend noch eine ganze Menge Fragen auf Lager. Deutsche sind eben von
Natur aus neugierig und wollen alles ganz genau wissen. Und Marlowe und auch
sein Bruder Bill, der zu seiner Unterstützung mitgekommen war, erklärten den
Gästen in launigen Worten, jedoch mit sehr viel Sachwissen, alles was sie
wissen wollten.
Anschließend verkündigte Kurt Krieger, der Initiator des „Herrenabend"
das nächste Thema: „Wie stellen wir uns die Zukunft Pattayas vor". Er
versprach, dass, wenn nicht schon der Bürgermeister persönlich, dann doch ein
Mitglied des Stadtrates als Gastsprecher erscheinen werde. Daraufhin gab es
gleich noch eine Diskussion unter den anwesenden Herren, da jeder sofort seine
Meinung zu diesem Thema sagen wollte. Dies wurde dann aber doch endgültig auf
das nächste Treffen vertagt und alle schieden in freundlichem Einvernehmen.
Nein, nicht alle, denn eine Gruppe Beständiger sah man auch nachher noch eine
ganze Weile auf der Springbrunnen-Terrasse vom Woodland’s Resort sitzen.