E-mail aus München

Von Nicola Hahn

Es hätte alles so schön sein können in Berlin am letzten Wochenende: Die SPD segnet mit über 90 Prozent die Agenda 2010 ab und der „Kanzler ist froh und glücklich" (titelte die sonst so seriöse FAZ), der FC Bayern holt sich erwartungsgemäß den DFB-Pokal ab (4:1 gegen Kaiserslautern) und eine halbe Million Christen feiern das erste Mal seit der Reformation gemeinsam bei einem Massenauflauf namens „Ökumenischer Kirchentag". Doch dabei kam es neben Friede und Freude auch zum Abendmahl.

Am Himmelfahrtstag teilte der katholische Priester Gotthold Hasenhüttl in der Gethsemane-Kirche tatsächlich seine Hostien auch an Protestanten aus! Was der Papst doch noch kurz vorher streng verboten hatte (aber höchstpersönlich schon dem Anglikaner Tony Blair dieses Sakrament in den Mund legte). Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Und zwar über die prompte Kritik von Kardinal Joseph Ratzinger an Hasenhüttl. Denn der Priester gilt den meisten Deutschen jetzt als kleiner Held – und die Reaktion auf seine Freigibigkeit als weiterer Beweis für die Realitätsferne der katholischen Amtskirche.

Zu Demos ganz anderer Art kommt es in den jetzt sehr lauen Sommernächten in jeder größeren Stadt. „Skate-Night" heißen die Events, die einmal wöchentlich tausende von (nicht nur jungen) Leuten auf die Rolle bringen, um gemeinsam auf Inlinern durch die Straßen zu flitzen und anschließend am Ziel Party zu feiern. Wer’s noch sportlicher will, meldet sich zu einem der dutzenden Skate-Marathons an oder geht gleich einen ganzen Urlaub lang zum Country-Skaten, z. B. auf Mallorca.

„Eine zunehmende Sehnsucht nach Familie" dagegen haben die deutschen TV-Macher ausgelotet. Und müllen den Bildschirm statt mit Karwall-Talkshows mit sogenannten Doku-Dramas rund ums Baby zu. Da dürfen sich dann werdende Eltern mit der Kamera bis in den Kreissaal begleiten lassen – und wir alle sollen beim Schweiß- und Wehen-Geschehen mitzittern.

Das ZDF nähert sich dem Familienthema auf seine Art. In Anlehnung an das erfolgreiche „Schwarzwaldhaus" der ARD (eine Familie lebte wie Bauern vor 100 Jahren) schicken die Mainzer gleich zwei Familien nach Sibirien, um ihren Kampf gegen Einsamkeit und Kälte als „Sternflüstern" vorzuführen. RTL setzt dagegen demnächst auf den „Frauentausch". Zwei Mütter sollen für zehn Tage die jeweils andere Familie versorgen. Wie weit die Mutterliebe dabei gehen soll, verrät der Sender allerdings noch nicht.

Überhaupt ist so viel „Realität" wie nie im Fernsehen. Rund um das Jubiläum der ersten Mount-Everest-Besteigung kramt jeder Sender ein mitgefilmtes Bergdrama aus der letzten Ecke. Das darf sich auch mal am Nanga Parbat, K 2 oder an der Eiger-Nordwand abgespielt haben – Hauptsache echte, quotenbringende Action. Weil sich auch der Aufstand des 17. Juni zum 50. Mal jährt, flimmern derzeit immer öfter alte russische Panzer durch die Wohnzimmer.

Sehr realistisch ist leider auch das Bienensterben. Die braven Honigsammler werden regelrecht ausgesaugt von der aus Indien eingeschleppten Milbe Varroa destructor. Die Tierchen mit dem Horror-Namen haben den milden Winter so gut und hungrig überlebt, das viele Imker inzwischen bis zu 90 Prozent Verlust bei ihren Bienen-Beständen haben. Besonders herb trifft das auch die Obstbauern – denn wo es früher bei der Baumblüte eifrig summte, lassen sich jetzt nur noch vereinzelte Wespen und Hummeln zum Bestäuben blicken.