Ist es nur Gleichgültigkeit?

Franz Schmid

Ein Freund von mir hatte einen Autounfall. Ein Zeuge stand dabei und sah alles. Als er gefragt wurde, ob er eine Aussage bei der Polizei machen würde, weigerte er sich mit den Worten: „Ich will da nicht mit hinein verwickelt werden. Das ist mir zu gefährlich hier in Thailand."

Das mag noch einigermaßen verständlich sein, als Ausländer in einem fremden Land.

Letzte Woche aber las ich in der Zeitung, dass ein 14-jähriges Mädchen, ein Kind noch, in Deutschland mitten am helllichten Tag und mitten auf einem Gehweg einer Straße vergewaltigt wurde.

Das Mädchen hat sich gewehrt, hat um Hilfe gerufen, hat Passanten, die an ihr vorbeigingen angefleht, ihr doch zu helfen. Sie sah, bereits auf dem Boden liegend und brutal von ihrem Angreifer vergewaltigt, zwei Männer auf einem Balkon stehen, die sich interessiert vorbeugten und die ganze Szene beobachteten. Sie forderte sie unter Schmerzensschreien auf, die Polizei zu benachrichtigen.

Keiner von denen, die diese Schandtat gesehen haben, hat geholfen. Sie alle haben den Blick abgewandt und getan, als würden sie die Hilfeschreie des jungen Mädchens nicht hören. Sie alle haben ihr Herz vor dem Leid, den Schmerzen einer gepeinigten Kreatur, eines Mitmenschen verschlossen. Gleichgültigkeit?

Jeder normal fühlende Mensch fragt sich, wenn er so etwas liest, ob diese Leute, die so etwas ansehen können, überhaupt eine Spur von Gefühl haben. Begreifen sie vielleicht gar nicht, dass einem Menschen dabei unsägliches Leid angetan wird?

In der heutigen Zeit ist fast jeder mit sich selbst, oder im Höchstfall vielleicht noch mit seiner engsten Familie beschäftigt. Nur sich ja nicht um die anderen kümmern, nur ja nicht Interesse zeigen am Mitmenschen und wenn, dann nur beim geschäftlichen Teil. Privatleben ist Tabu, da mischt man sich am besten niemals ein. Denn es könnte ja sein, dass man dann in dieses Privatleben mit einbezogen wird. Wer will sich denn schon in Dinge einmischen, die einen nichts angehen, oder? Wie leicht könnte man dabei in die Tretmühle des Gesetzes kommen und müsste vielleicht wertvolle Zeit bei der Polizei, beim Gericht opfern. Wertvolle Zeit, die man lieber in der Kneipe, bei Freunden oder sonst wo verbringt.

Was macht es da schon aus, wenn ein einzelnes Mädchen geschändet wird. Die wird es sicher bald vergessen, denkt sich wohl da so manch einer und hat vielleicht auch noch andere schmutzige Gedanken dabei. Denn viele Männer realisieren überhaupt nicht, wie sehr ein vergewaltigtes Opfer darunter leidet, wie stark ihr Leben dadurch in andere Bahnen gelenkt werden kann und wie groß das Trauma ein Leben lang ist.

Wir sind eben alle nur Menschen! Menschen? Ich bezweifle, dass man diese Personen, die so etwas geschehen lassen, ohne einzugreifen, ohne die Polizei zu rufen, als Menschen bezeichnen kann.

Nur noch ein Gedanke am Rande: ein dreijähriges Mädchen wurde letzte Woche hier in Naklua geschlagen, vergewaltigt und erdrosselt. Gab es da vielleicht auch jemand, der es gesehen hat, sich „aber nicht einmischen" wollte?