E-mail aus München

Von Nicola Hahn

Chaos auf deutschen Bahnhöfen. Wenn Züge in diesen Tagen zu spät oder gar nicht fahren, liegt’s ausnahmsweise mal nicht an der Bahn. Seit im Dresdner Bahnhof ein Koffer mit 1,6 Kilo TNT rechtzeitig entschärft werden konnte, gibt’s fast täglich irgendwo einen blinden Bombenalarm. Die Sinne sind geschärft, die Angst geweckt – immerhin 18 Mal mussten Sprengstoff-Spezialisten in der letzten Woche zu vermeintlich herrenlosem Reisegepäck auf Bahnsteigen ausrücken. Dann wird, wie am vergangenen Samstag im Hamburger Hauptbahnhof, großflächig abgesperrt – und der Reiseverkehr liegt für gut zwei Stunden komplett brach.

Und hitzig wird an deutschen Stammtischen gerätselt: Wer könnte wohl hinter dem geplanten Attentat stecken? El Kaida, die Russenmafia, ein durchgeknallter Einzeltäter?

Wie gut, dass ein anderer Fall klarer zu liegen scheint: Bei Michel Friedmann wurde Kokain gefunden. Zwar steht das Ergebnis der Haaranalyse noch aus (kennt man ja noch von Christoph Daum), aber der Empörung tut das keinen Abbruch. Denn der Frankfurter Anwalt, CDU-Politiker, Vizepräsident des Zentralrats der Juden und streitbare TV-Talkmaster polarisiert durch strotzendes Selbstbewusstsein und höchste Moralansprüche. Und nun soll er ausgerechnet von zwei ukrainischen Prostituierten verpfiffen worden sein, die ihren Kunden beim Koksgenuss zugeschaut haben wollen. Da sind sich Volk und Presse einig: Arroganz kommt vor dem Fall...

Was das Ganze besonders pikant macht: Friedmann war in vorderster Front der Kritiker, die den letzte Woche begrabenen Jürgen W. Möllemann wegen seiner anti-israelischen Äußerungen attackierten. Die Kritik an seiner eigenen Person scheint er nicht so gut zu verkraften: Friedmann sei zusammengebrochen und gesundheitlich schwer angeschlagen nach Südeuropa abgereist, vermeldete sein Haussender, der Hessische Rundfunk.

Des Volkes Häme kübelt derzeit auch über Uschi Glas nieder. Die hatte sich mal wieder gedacht: „Zur Sache, Schätzchen!" und sich in einen goldenen 80-er-Jahre-Bikini gepellt für die aktuelle Ausgabe von „Max" abfotografieren lassen. Obwohl die 59-jährige dank ihrer Ananas-Diäten noch recht gut in Form ist, kommt das Ergebnis bei den wenigsten gut an. „Sie wirkt billig und nicht sexy" oder „sowas müsste in dem Alter verboten werden" sind noch die harmloseren Beschimpfungen, die massenweise auf den Internetseiten der Hamburger Postille eintrudeln. Und Uschi? Die sagt tapfer in der Münchner Abendzeitung: „Wenn alle Welt es schrecklich findet, bin ich umso stolzer, dass ich es getan habe." Na, dann...

Ansonsten hat der anhaltend schöne Sommer das Grillfieber voll entfacht. Während die Deutschen meist brav im heimischen (Klein-)Garten ihre Würstchen brutzeln, zieht es die ausländischen Mitbürger zu Hauff in die öffentlichen Grünanlagen. Vom Berliner Tiergarten bis zum Münchner Westpark – überall scharen sich ganze Sippen um zahllose Feuerchen, auf denen auch mal ganze Hammel schmoren. Weil das zu viel fröhliche Idylle sein könnte, gibt es in einzelnen Stadtverwaltungen schon wieder Spaßverderber, die darüber sinnen, wie man dem anarchistischen Treiben wohl ein Ende bereiten könnte.

Die Durstlöscher zur Grillparty waren Ende letzter Woche jedenfalls besonders günstig zu haben. Wegen des für sie lästigen Dosenpfandes haben einige Handelsketten (z. B. Tengelmann) beschlossen, in Zukunft ganz auf Mehrwegflaschen zu setzen. Die noch vorhandenen Getränkedosen wurden deshalb zu Minipreisen verramscht – Cola oder Bier für 19 Cent lösten umgehend Hamsterkäufe aus, obwohl zusätzlich noch 25 Cent Pfand fällig wurden (den man bei Rückgabe zur Zeit nur gegen Bon und in dem Geschäft erstattet bekommt, wo man die Dose auch gekauft hat).

So gut versorgt, sehen wir nun mit Spannung dem großen Boxkampf Vitali Klitschko gegen Lennox Lewis am 21. Juni entgegen.