Walter Kretschmar

Walter Kretschmar ist seit drei Jahren der deutsche Direktor des Thai German Institutes in Chonburi. Als Repräsentant der deutschen Technologie bei der Weiterbildung der thailändischen Arbeitskräfte ist er sowohl bei den deutschen Firmen in Thailand als auch bei den Industrieunternehmen der Ostküste gut bekannt. Doch kaum jemand würde vermuten, dass Walter schon im Alter von 13 Jahren die Schule verlassen und zu arbeiten begonnen hatte.

Ein Meister auf vielen Instrumenten.

Walter wurde 1946 auf einem Dorf in der Nähe von Frankfurt geboren und stürzte sich schon früh ins Arbeitsleben. Denn nachmittags nach der Schule half er in der Landwirtschaft und mit 10 Jahren führte er praktisch eine mobile Bankfiliale der Volksbank in dem Dorf, indem er einige Bankgeschäfte für die Bauern erledigte. Deshalb war es kein Wunder, dass er nach Abschluss der Volksschule von allen Seiten umworben wurde, doch bei ihnen zur Lehre zu gehen. Doch Walter wollte weder Landwirt noch Schmied werden und als Bankangestellten mit weißem Hemd und Krawatte konnte er sich schon gar nicht vorstellen.

„Für mich war die Lehre keine Arbeit, sondern Urlaub"

Seine Mutter war in der Zwischenzeit nach Frankfurt umgezogen und so machte er sich auf Anraten seines Lehrers auf der Suche nach einer Lehrstelle in die große Stadt auf. Dort erhielt er schließlich einen Vertrag als Fernmeldelehrling bei Siemens, doch als er seinen ersten Monatslohn von 12,50 DM vom Lohnbüro der Firma Siemens abholen wollte, stellte dieses überrascht fest, dass Walter ja noch nicht einmal 14 Jahre alt war. Niemand hatte auf sein Alter geachtet und alle hatten seiner, eigentlich illegalen, Beschäftigung zugestimmt. Doch da er nun einmal seine Schulzeit schon abgeschlossen und eine Lehre hatte, durfte er dann doch bleiben.

„Für mich war die Lehre keine Arbeit, sondern Urlaub", erinnert er sich heute. „Nach all den Jahren in der Landwirtschaft war es für mich eine wunderbare Zeit." Doch kaum hatte er die Lehre abgeschlossen, ging er nach der Arbeitszeit täglich vier Stunden auf die Abendschule, um die mittlere Reife nachzuholen. Schließlich bewarb er sich am Hessen-Kolleg für den Abiturkurs und wieder einmal war er zu früh dran. Er bestand nämlich die Aufnahmeprüfung, bevor er überhaupt die mittlere Reife in der Tasche hatte, und musste so ein halbes Jahre lang nach der Schule noch auf die Abendschule gehen um einen Abschluss zu erwerben, den er praktisch gar nicht mehr brauchte. „In dieser Zeit war ich total überarbeitet und gestresst", sagt Walter. „Ich habe bis zu 80 Zigaretten pro Tag geraucht." Trotzdem fand er immer noch genug Zeit, verschiedenen Hobbys nachzugehen und eines Tages lernte er im Hause seiner Mutter die Tochter seiner künftigen Frau kennen.

Das süße Baby gefiel ihm und die Mutter umso mehr, so sehr dass Walter und Waltraud Kretschmar heute noch immer glücklich verheiratet sind. Walter machte sich nach dem Abitur schließlich nach München auf, um dort Elektrotechnik zu studieren und nach dem Vordiplom spezialisierte er sich in Darmstadt in Nachrichtentechnik. „Auch hier habe ich nach dem Studium und in den Ferien weiter gearbeitet. Zuhause verdrahtete ich die Ferritkerne, aus denen unsere riesigen Rechner zusammengesetzt wurden", sagt er. Genauso wie seiner Frau ist er auch seiner Firma Siemens seit seiner Lehrzeit treu geblieben.

Nach dem Studium arbeitete Walter als Inbetriebsetzungsingenieur in Erlangen auf dem Gebiet der Lastverteiler, das sind Kontrollzentren zur Überwachung und Automatisierung von Umspannwerken und der elektrifizierten Eisenbahnstrecken. Sobald das erste Projekt zu Ende war, schickte ihn sein Chef nach La Coruña in Spanien, um den Bau des zentralen Kontrollzentrums für die Energieversorgung in Galizien zu unterstützen. Nach zwei Jahren Spanien ging es zurück nach Erlangen, wo ihm sein Chef „einen tollen Job zum Ausruhen" versprach. Walter wurde zu einem Unternehmen geschickt, dessen Leiter nur zu ihm sagte, „schau dich mal um, was du hier verbessern kannst" und Walter war entsetzt, denn dieses „Umschauen" kostete das Unternehmen immerhin 1.500 DM pro Tag. Hier lernte er jedoch eine wichtige Lektion: „Ich beschäftige lieber einen, ganz egal was er kostet, als 10, die nichts taugen", sagte sein neuer Chef und Walter tat alles, um sein Geld auch wert zu sein. Doch schließlich war es auf Dauer doch nicht die richtige Beschäftigung für den energischen jungen Mann und als er sich bei Siemens beklagte, versetzten sie ihn nach Dortmund als Leiter des Baus eines Lastverteilers für die gesamte Energieerzeugung und –Verteilung in Nordrhein-Westfalen. „Der vorherige Bauleiter hatte einen Terminverzug von zwei Wochen, also setzten sie ihn ab. Doch schließlich haben wir 3 Jahre länger bauen müssen als geplant", wundert sich Walter noch heute. Mit der Technik der 70er Jahre und einem Hauptspeicher von gerade einmal 64k war so ein großes Projekt eben nicht leicht zu erstellen.

„Doch als ich sie anrief, erkannte sie die Lage wohl schon an meiner Stimme", lacht er, „denn sie fragte gleich, ‚fliegen wir wieder
ins Ausland?’"

In Kuwait wurde zu dieser Zeit ein Lastverteiler des gleichen Typs errichtet und aufgrund seiner Erfahrungen damit wurde Walter nach Abschluss des Projekts in Dortmund in die Wüste geschickt, im Gegensatz zu manchen anderen aber nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinne. Fünf Jahre lang arbeitete er in der kochenden Hitze Kuwaits, wo im Schatten 55°C erreicht werden und schon deshalb die Sicherheitsvorkehrungen mitunter nicht ganz seinen Erfahrungen entsprachen.

Bald ging es wieder zurück nach Erlangen. 1988, Walter war jetzt Abteilungsleiter geworden, bereitete er sich auf einen Monat Urlaubsvertretung für seinen Kollegen in Kuwait vor. Doch zunächst folgte er dem Wunsch seiner Frau, für eine Woche Urlaub in Schweden zu machen. Eigentlich ärgerte er sich über diese „Dummheit", denn die Fahrt war für die kurze Zeit viel zu weit und er musste seine Arbeit in Kuwait um eine Woche verschieben. Auf der Rückfahrt aus Schweden hörten sie schließlich die Nachrichtenmeldung über den Einmarsch Sadams in Kuwait und heimlich dankte Walter seinem Schutzengel für seine „Dummheit". Denn seine Kollegen in Kuwait wurden als Kriegsgefangene in den Irak gebracht und erst viel später, dank eines eigens von Siemens gecharterten Flugzeuges, wieder ausgeflogen. Walter leitete in dieser Zeit den Krisenstab von Siemens und litt mit seinen Kollegen.

„Drei Tage nach Kriegsende flog ich dann aber doch nach Kuwait", erzählt er. Er reiste mit einigen Kollegen aus Saudi-Arabien über die Grenze ein und fuhr an den brennenden Ölquellen vorbei in die Hauptstadt. „Im Hotel gab es keinen Strom und an der Rezeption erhielten wir neben dem Zimmerschlüssel eine Kerze", erinnert er sich. Nachdem sie sich über die Lage informiert und die Büros und Wohnungen von Siemens halbwegs in Ordnung gebracht hatten, flogen sie wieder nachhause und gaben ihren Kollegen grünes Licht, sich an die Wiederaufbauarbeit des Landes zu machen.

Walter blieb allerdings in Deutschland und arbeitete drei Jahre lang in Frankfurt als Leiter der technischen Dienstleistungen von Siemens. Nach Frankfurt wurde er zurück ins Stammhaus nach Erlangen gerufen, um die „Service Logistik" als Geschäft aufzubauen, was durch einen Wechsel an der Spitze des Geschäftsbereiches nach einem Jahr doch wieder verworfen wurde. Doch die Stabstätigkeit war auf die Dauer nichts für ihn und kurz nachdem er seinen Wunsch nach einem Wechsel seinem Vorgesetzten mitgeteilt hatte, erklärte ihm dieser: „Sie fliegen nach Australien." Doch jetzt ging das nicht mehr ganz so schnell wie früher, denn Walter musste zunächst seine Frau fragen. „Doch als ich sie anrief, erkannte sie die Lage wohl schon an meiner Stimme", lacht er, „denn sie fragte gleich, ‚fliegen wir wieder ins Ausland?’" Nach drei Jahren in Melbourne kehrten sie schließlich wieder nach Erlangen zurück, nun um Instandhaltung als Geschäft strategisch aufzubauen, eine Aufgabe für zwei Jahre. Die zwei Jahre waren noch nicht um, als Walter den Personalchef an den Ablauf der Zeit erinnerte. So kam es, dass eine Ausschreibung der GTZ für die Stelle am TGI in Thailand ins Gespräch kam, was eher ein formaler Akt war, um ein Versprechen der Firma Siemens zu erfüllen. Tatsächlich wurde er angenommen und trotz einiger Schwierigkeiten mit seinem Vorgesetzten, der Walter nicht gehen lassen wollte, und mit seiner Gesundheit kam Walter schließlich am 1. März 2000 in Chonburi beim TGI an. „Die offizielle Entwicklungshilfe für das TGI läuft Ende 2004 aus, doch sie wird nach heutiger Lage durch eine Kooperation der thailändischen Regierung mit der deutschen Industrie abgelöst. Damit können wir die deutsche Technologie im TGI am Leben erhalten", erklärt Walter, der auf diese erfolgreiche Weiterführung der Zusammenarbeit besonders stolz ist. Mit seinem persönlichen Engagement und seiner offenen, herzlichen Art mit Menschen umzugehen, hat Walter Kretschmar auch hier in Thailand die Achtung und Freundschaft vieler erobern können.