E-mail aus München

Von Nicola Hahn

Sie heißen „Asphalt" oder „Hinz & Kunz(t)" – sie sind an keinem Kiosk zu haben und sie sind zur Zeit die begehrtesten Zeitungen der Republik. Werden sie Obdachlosen, die diese speziellen Gazetten verkaufen, sonst vielleicht gerade mal ein bis zwei Exemplare pro Stunde in der Kälte stehend los, werden ihnen die neuen Novemberausgaben geradezu aus den Händen gerissen.

Nicht, dass sich plötzlich das Gewissen der Nation regte oder gar Interesse an der Situation der Berber erwacht wäre. Nein, nein. In den meisten dieser Obdachlosen-Zeitungen ist das erste Kapitel des neuen Harrry Potter-Bandes auf deutsch abgedruckt, gut zwei Wochen vor Erscheinen der deutschen Buchausgabe. Und alle, die des Englischen nicht mächtig sind, befriedigen die Neugier schon ein bisschen

Die Idee, den Zeitungen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, hatte der Carlsen Verlag, bei dem Harry Potter hierzulande erscheint. Und nur eine Redaktionscrew verweigerte sich dem „PR-Gag", die Macher des Münchner „Biss". VerkäuferInnen derselben sind entsprechend sauer.

Pikiert sind auch die Raucher, wenn sie in diesen Tagen eine neue Schachtel blauen Dunst erwerben. Denn ähnlich wie in Thailand steht jetzt auch auf jeder hiesigen Schachtel in großen schwarzen Lettern: „Rauchen kann tödlich sein", Rauchen macht impotent", „Rauchen lässt ihre Haut altern"… Doch statt erschreckt die Kippe fallen zu lassen, wird trotzig und mit Humor weiter gequalmt.

Nach dem Motto: Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit (Plato) entstaubt der Snob sein silbernes Schmucketui wieder. Weniger Betuchte erstehen aus großer Auswahl witzig bedruckter Pappmanschetten, die über die Packung geschoben wird. Fast noch netter sind originelle Sprüche, die man sich format-passend für jede Packungsgröße aus dem Netz laden (www. rauchergedicht.de) und aufkleben kann, wie „Arbeiten schadet der Gesundheit" oder „Vorsicht, Rauchen verkürzt das Leben Ihrer Zigarette".

Die Raucher müssen es mit Humor tragen, denn sonst könnte die gerade erhöhte Tabaksteuer nicht länger Löcher stopfen. Und das, wo Hans Eichel gerade das neueste Rekord-Defizit von 43,4 Mrd. Euro für dieses Jahr verkündet hat. Es will einfach nix klappen von den Geldideen, die Berlin so scheinbar findig erfindet. Besonders das moderne Raubrittertum Namens „LKW-Maut" entwickelt sich zu einem Riesen-Desaster.

Eigentlich sollte es nächste Woche losgehen mit dem fröhlichen Geklimper in die Staatskasse. Doch das ganze satellitengestützte Einzugssystem funktioniert überhaupt nicht – und es ist auch nicht klar, wann sich das ändern könnte. Die Betreiberfirma (u.a. beteiligt sind Siemens und die Telekom) heißt übrigens Toll Collect – und manche fragen sich schon, ob sie vielleicht in einem Tollhaus residiert…

Eine kleine Lokalposse im bundesweiten Kopftuchstreit lieferte diese Woche die sterbende Schill-Partei in Hamburg. Während der Rest der Republik erbittert darüber streitet, ob

Lehrerinnen deutsche Schüler nun mit einen Tuch überm Haar unterrichten dürfen, griffen die schillernden Rechten mal wieder radikal daneben – und beantragten, gleich jegliche religiöse Symbole aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Dann dürfte dort bald auch kein Adventskranz mehr brennen…

Nur ungern schlugen sich die Hanseaten mit diesem Ausrutscher herum, schließlich wollten sie sich doch letzte Woche nur im Glanz der großen weiten Welt sonnen. Denn unweit der Alster wurde auch noch der World Award verliehen. Was der für einen tieferen Sinn hat, erschloss sich wohl nur den Veranstaltern. Doch alle eilten herbei. Gorbatschow als Präsident der Veranstaltung und auch die vielen Preisträger in spe, darunter Lech Walensa, Christopher Reeves, Jan Ulrich, Cat Stevens und Siegfried (ohne Roy, der ja nach seinem Tigerbiss noch in einer Las-Vegas-Klinik liegt). Übrigens: Wenn sich Ihnen bei der Mischung der Preisträger ein Sinn erschließt, lassen Sie es mich doch bitte wissen.