Gnadenreiche Zeit

Franz Schmid

Die Nachricht, dass in Thailand von nun an zum Tode verurteilte Strafgefangene nicht mehr durch Erschießen oder Erhängen, sondern durch eine Injektion mit der sogenannten „Todesspritze" hingerichtet werden, hat international große Beachtung gefunden. Die ersten vier Menschen wurden bereits so getötet.

Die Vertreter der Menschenrechtsgruppen haben dies mit Genugtuung aufgenommen und positiv kommentiert. Es wurde allgemein anerkannt, dass die thailändische Justiz sich entschlossen hat einen „humaneren" Weg bei der Vollstreckung des Todesurteils zu gehen. Trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack und man sollte einiges hinterfragen und versuchen, dies in den großen Zusammenhang zu stellen.

Thailand ist ein buddhistisches Land und ist auf diese Jahrhunderte alte Tradition sehr stolz. Das Töten von Lebewesen stellt einen Verstoß gegen die Lehren Buddhas dar. Der normale Gläubige hält sich daran, auch wenn es nach europäischen Maßstäben manchmal nicht nachvollziehbar ist. Beispielhaft dafür steht, wie mit streunenden Hunden verfahren wird. Mag ein Tier noch so räudig aussehen oder gar tollwütig sein, in jedem Falle wird es nicht getötet, sondern in ein Tierheim oder einen Tempel gebracht. Man will eine Tötung um jeden Preis vermeiden, auch wenn das Tier eine Gefahr für die Öffentlichkeit und seine Umwelt darstellt. Unverschuldeter Weise zwar, möchte ich betonen, aber immerhin.

So pfleglich und rücksichtsvoll geht man mit den Menschen nicht um, die sich eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht haben und nun auf ihre Strafe gemäß den thailändischen Gesetzen warten. Die Höchststrafe ist die Beförderung vom Leben in den Tod. Richter sprechen das Urteil und Henker führen sie aus. Es ist ein grausames Geschäft.

Wie vereinbaren eigentlich Richter und Henker dieses Vorgehen mit ihren buddhistischen Überzeugungen? Entstehen hier nicht zwangsläufig Gewissenskonflikte? Wie kann man auf der einen Seite so viel Ehrfurcht vor dem Leben haben und auf der anderen Seite den gewaltsamen Tod eines Menschen in Kauf nehmen, mag er noch so schreckliche Dinge angerichtet haben?

Gerade zur Weihnachtszeit können einem solche Gedanken kommen. Die Weihnachtszeit wird als gnadenreiche Zeit beschrieben, da im christlichen Verständnis in dieser Zeit der Erlöser geboren wurde.

In beiden Religionen – dem Christentum und dem Buddhismus – gilt das Gebot „Du sollst nicht töten". Wie kommt die Staatsgewalt dazu sich darüber hinweg zu setzen? Steht sie über der allgemeinen Auffassung der buddhistischen Bevölkerung über das Töten von Leben? Womit wird diese Sonderstellung begründet?

Nur noch wenige zivilisierte Länder dieser Erde kennen die Todesstrafe als Strafmaß. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Androhung dieser Strafe keinerlei Abschreckung hat. Viele Täter nehmen dies bewusst in Kauf, wohl wissend, dass ihrem Leben früher oder später ein Ende bereitet wird. Auf der anderen Seite spricht eine lange Liste von Fehlurteilen ihre eigene Sprache. Unschuldige wurden hingerichtet und eine Wiederaufnahme der Fälle, in denen die Angeklagten rehabilitiert wurden, bringen diese nicht mehr zum Leben zurück. Das Urteil ist, wenn ausgeführt, endgültig und nicht wieder umkehrbar.

Die thailändische Regierung ist auf dem richtigen Weg, in dieser Frage mehr Menschlichkeit walten zu lassen. Die Einführung der Todesspritze ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht steht am Ende dieses Weges die Abschaffung der menschenunwürdigen Todesstrafe. Die gnadenreiche Zeit ist ein guter Anlass, dies einmal zu überdenken.