Rechtspraxis in Thailand

Premprecha Dibbayawan, Rechtsanwalt (MCI, Miami Universität) Verwaltungsratspräsident der swissSiam Gruppe

Gefangenschaft und Resozialisierung

Der Hauptgrund der Überbelegung in unseren Gefängnissen ist die hohe Rate rückfälliger Straftäter. Unsere Gesellschaft muss Vorurteile abbauen und neue Strategien entwickeln und durchsetzen, um den in die Freiheit entlassenen Straftätern einen Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu ermöglichen.

In Thailand gibt es über das ganze Land verteilt ca. 134 Strafanstalten, die gemäß internationalen Standards für die Gefangenschaft von Straftätern nicht mehr als 150.000 Insassen aufweisen sollten. Die Protokolle der Strafvollzugsbehörden sprechen jedoch eine andere Sprache und zeigen ein erschreckendes Bild. Die Anzahl der Gefangenen hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als vervierfacht. In absoluten Zahlen: von 65.916 Gefangenen im Jahre 1988 auf 266.856 Gefangene Ende April 2003. Unter Berücksichtigung des oben erwähnten internationalen Standards sind unsere Gefängnisse mit mehr als 100.000 Gefangenen überbelegt. Verantwortlich für diese exzessive Zunahme der „Gefangenenbevölkerung" sind nicht etwa Erststraftäter, sondern Verbrecher, die nach Verbüßung ihrer Strafe auf freien Fuß gesetzt, wieder straffällig und inhaftiert werden. Diese Überbelegung in den Strafanstalten ist ein Problem, das dringend gelöst werden muss, bevor es zu massiven Ausschreitungen und Gefängnisrevolten kommt.

Zur Lösung dieses Problems sollten jedoch weder neue Gefängnisse gebaut noch zusätzliches Gefangenenpersonal eingestellt werden. Es muss nach praktikableren und vorbeugenden Lösungsansätzen gesucht werden, die mittel- und langfristig Erfolg versprechen, wie z. B. notorische und rückfällige Straftäter in Verwahrungshaft zu lassen. Die Strafverordnung für kleine Gesetzesübertretungen ist in der Form abzuändern, dass dafür keine Haftstrafen mehr verhängt werden sollten. Eine solche Änderung bedingt jedoch eine enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Amtsstellen von Polizei, Justizbehörden und Gerichten.

Im heutigen System für die Rechtssprechung in Kriminalfällen klafft eine große Lücke. Das Gefängnispersonal kümmert sich um die Inhaftierten nur während der Zeit der Haft. Einmal entlassen, existiert kein Resozialisierungsprogramm, das den Entlassenen helfen würde, ihren Weg zurück in die Gesellschaft zu finden. Das ist einer der Hauptgründe, warum viele Straftäter rückfällig werden und sich im Gefängnis wiederfinden – ein Teufelskreis.

Prof. Dr. Kriengsak Chareonwongsak, Leiter des Institutes für Zukunftsplanung und Entwicklung (IDF), hat Richtlinien, aufgeteilt in verschiedene Bereiche, vorgeschlagen, die den Teufelskreis,Straftat, Aburteilung und Haft, Entlassung, Rückfall, Aburteilung und Haft’ brechen soll.

Die Gesellschaft muss ihre Meinung und Vorurteile gegenüber entlassenen Häftlingen ändern, und ihnen eine faire Chance geben, damit sie sich wieder in die Gesellschaft eingliedern können. Das Justizministerium sollte den Wiedereingliederungsprozess mit anderen Regierungsstellen koordinieren (Bildungs- und Kulturministerium), Aufklärungskampagnen einleiten, welche die Meinung der Öffentlichkeit gegenüber Entlassenen ändern soll. Entlassenen Häftlingen sollte das Gefühl vermittelt werden, dass sie gleichwertig wie ihre Mitmenschen sind, ihnen für ihre Straftat(en) vergeben wurde und ihnen die Möglichkeit geben, fortan ein produktives und sinnvolles Leben zu führen.

Die Gemeinschaft muss mehr Verantwortung für Ex-Häftlinge während des Resozialisierungsprozesses übernehmen. Die schwierigste Periode, in der Hilfe gefordert wird, ist unmittelbar nach der Entlassung aus der Haft. Viele Entlassene haben keine Familien oder Verwandte, an die sie sich für finanzielle und soziale Hilfe und seelischen Beistand wenden können. Vor allem Häftlinge, die lange Strafen verbüßten, haben große Anpassungsschwierigkeiten, um in ein normales Leben zurückzufinden.

Die Gesellschaft muss drei Basiselemente für die Resozialisierung sicherstellen: Freunde, Unterkunft und Arbeitsplatz. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen reduziert das Risiko einer Rückfälligkeit in kriminelle Aktivitäten.

Die Strafvollzugsbehörden sollten in Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen und lokalen Administrativorganisationen Gemeinschaftszentren aufbauen, die ein Bindeglied zwischen Strafanstalt und Gemeinschaft bilden, in denen sich entlassene Strafgefangene beraten lassen können und Verständnis und seelischen Beistand erhalten. Diese Zentren sollten von Freiwilligen betrieben werden, die sich durch Geduld, Verständnis, Nächstenliebe und einschlägiges Fachwissen in der Gefangenenbetreuung ausweisen können. Der freiwillige Helfer sollte die Möglichkeit haben, den oder die von ihm zu betreuenden entlassenen Sträfling(e) vor der Entlassung kennen zu lernen, damit hätte der/die zu Entlassende/n eine kompetente Bezugsperson in der „Freiheit", was Vertrauen in ihr neues Leben, außerhalb der Gefängnismauern, aufbauen wird. Die Zentren sollten in der Nähe von Spitälern, Tempeln, Bildungsinstitutionen angesiedelt werden, um Leute anzuspornen einen ehrlichen und ethischen Lebensweg zu beschreiten.

Die Gesetzgebung sollte vorschreiben, dass jegliche Diskriminierung von arbeitssuchenden Ex-Sträflingen durch Arbeitgeber strikt verboten ist, wenn diese über die nötigen Fähigkeiten und Voraussetzungen verfügen, um den Anforderungen der ausgeschriebenen Arbeitsstelle zu genügen. Die Bewerbung um die zu besetzende Stelle sollte neutral und unvoreingenommen bewertet werden.

Die Gesetzgeber sollten Regierungsämter, hauptsächlich Justiz- und Arbeitsministerium und das Amt für menschliche Entwicklung für Gesellschaft und Sicherheit, bevollmächtigen, die nötigen Schritte zu unternehmen, dass die Vergangenheit eines arbeitssuchenden Ex-Sträflings nicht negative Folgen auslöst und der Ex-Sträfling deshalb abgewiesen wird. Es muss ein System eingeführt werden, das die Transparenz des Rekrutierungsprozesses eines jeden Arbeitsgebers überprüfen lässt.

Um den Arbeitgebern bei der Bewertung einer Bewerbung eines Ex-Sträflings zu helfen, sollten die Strafvollzugsbehörden ein Qualifikationssystem für Strafgefangene einführen. Eines von vielen Problemen stellensuchender Ex-Sträflinge ist der Mangel an geeigneten Empfehlungsschreiben, betreffend ihrer Glaubwürdigkeit als Arbeiter oder Angestellter. Die Strafvollzugsbehörden sollten deshalb ein Zertifikat oder einen Verhaltensbericht (im Sinne einer Empfehlung) jeder aus der Haft entlassenen Person aushändigen, der über Verhalten, Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Verantwortlichkeit, Ehrlichkeit und besondere Fähigkeiten orientiert. Damit hätte der Arbeitgeber einen „Ausweis" von kompetenter Stelle.

Um Arbeitgeber zu motivieren, die mit der Einstellung von Ex-Sträflingen ein zusätzliches Risiko eingehen, sollten Prämien wie Steuervorteile gewährt, Ehrenurkunden oder auch Königliche Zertifikate überreicht werden. Eine solche Vorgehensweise würde viele Arbeitgeber ermutigen Ex-Sträflingen einen Arbeitsplatz anzubieten.

Zur Bewältigung des Problems sollten die Regierung und der private Sektor eng zusammenarbeiten und spezielle Arbeitsplätze für entlassene Häftlinge bereitstellen, um diesen dadurch eine faire Chance zu geben, in ein normales Leben zurückzufinden.

Allgemein ist bekannt, dass die Strafvollzugsbehörden Qualitätsmöbel durch die Sträflinge produzieren und zum Verkauf anbieten. Es gibt aber auch viele Sträflinge mit anderen Talenten.

Es sind nicht nur die Amtsstellen der Regierung allein, die eine Verantwortung haben, etwas zu unternehmen, um die Anzahl rückfälliger Gesetzesbrecher zu reduzieren. Der private Sektor ist ebenfalls aufgefordert seinen Teil beizutragen. Es braucht die gemeinsame Anstrengung aller, Regierung, privater Sektor und Gesellschaft, um Möglichkeiten für Ex-Sträflinge zu schaffen, die den Betroffenen eine positive Resozialisierung ermöglichen. Vor allem die Gesellschaft ist aufgerufen zur Lösung beizutragen, indem sie ihre Vorurteile gegenüber Ex-Sträflingen abbaut und mithilft, dass diese Menschen wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden und ein normales Leben führen können.

Eine Befolgung obiger Richtlinien wird nicht nur die Überbelegung in den Gefängnissen und Strafanstalten reduzieren, den Resozialisierungsprozess von ehemaligen Sträflingen beschleunigen, sondern es werden dadurch viele indirekte Vorteile geschaffen und vor allem wird eine gefälligere und widerstandsfähigere Thai-Gesellschaft kreiert.