Ausländerin an der Spitze

Franz Schmid

Neulich hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem hier in Pattaya lebenden Inder. Wir unterhielten uns über die Wahlen in Indien und den großen Rummel, der nun gemacht wird, da Sonia Ghandi die Wahl gewann – und es ablehnte (ablehnen musste) Premierministerin zu werden. Seine Worte möchte ich Ihnen heute nahe legen:

„In Anbetracht des Rummels um den Wahlsieg von Sonia Gandhi und ihrer Kandidatur zur nächsten im Ausland geborenen Premierministerin von Indien, möchte ich feststellen, dass viele Menschen (einschließlich Inder) die Tatsache nicht anerkennen, dass Indien in den Tausenden Jahren seiner Geschichte ein Schmelztiegel von Menschen aller Rassen, Glaubensrichtungen und Farben gewesen ist. Wie sieht ein Inder aus? Schauen Sie einmal genau hin. Sie werden feststellen, dass sie nicht alle gleich sind. Da gibt es die verschiedensten Hautschattierungen von ganz hell bis hin zu ganz dunkel. Dasselbe gilt für die Haar- und Augenfarben. Es gibt (jawohl) blonde Inder mit blauen Augen, andere sind schwarzhaarig mit dunklen Augen. Man findet die verschiedensten Gesichtszüge dort und auch die verschiedensten Religionen. Reisende aus der alten Welt, Griechen, Juden, Ägypter, Perser, Mongolen und Italiener haben während der Jahrhunderte Indien zu ihrem Heim gemacht. Goa war portugiesisch und hat immer noch diese Kultur und den Lebensstil beibehalten. Dies ist am auffallendsten bei den Familiennamen.

Ich glaube, dass es gut sein wird für die Inder, eine Premierministerin zu haben, die im Ausland geboren ist. Die Inder wollen doch immer Teil der globalen Familie sein und erfreuen sich am englischen Lebensstil der Sahibs. Dies ist nun ihre große Chance, es zu tun. Ein wenig mehr Disziplin und ein bisschen mehr westliche Denkweise wird ihnen enorm gut tun.

Ich sehe und höre zur Zeit so viele negative Kommentare über die Tatsache, dass Sonia Gandhi geborene Italienerin ist. Diese freundliche Frau hat ihr ganzes Leben und die Zukunft ihrer Familie Indien gewidmet. Nachdem sie die Tragödie, die ihre eigene Familie betraf, den Mord an ihrem Gatten, Premierminister Rajiv Gandhi, miterleben musste, wäre es ein Leichtes gewesen, ihre Sachen zu packen und Indien mit ihren Kindern zu verlassen. Das wäre der einfache Weg gewesen, aber Sonia entschied sich, in dem Land zu bleiben, das sie liebt und Heimat nennt. Ihre Kinder sollten im Land ihrer Väter groß werden und, falls das Schicksal es wollte, deren Arbeit zum Wohle des Volkes fortführen. Sie selbst hatte niemals politische Ambitionen, sie wurde erst später hineingezogen, da es die Menschen in Indien so wollten. Das war der Grund, warum sie sich dafür entschieden hatte, ihr Leben diesen Menschen zu widmen.

Sie hat sich das Recht verdient eine Inderin zu sein und sollte als wahre Tochter Indiens behandelt werden.

Was ist mit den „echten", den in Indien geborenen und aufgewachsenen Indern, die aber nun in Übersee leben und vorgeben modern zu sein? Sie haben absolut nichts für ihr Vaterland getan, aber sie besitzen trotzdem das Recht ein öffentliches Amt in einem Land zu bekleiden, dass sie noch nicht einmal mehr als ihre Heimat ansehen.

Inder zu sein richtet sich nicht nach dem typisch indischen Aussehen oder dem „richtigen Glauben" an eine der Religionen in diesem mächtigen Land. Inder zu sein bedeutet, indisch im Herzen zu fühlen und danach zu leben. Auch eine der größten Frauen Indiens, Mutter Theresa war keine echte Inderin – und dennoch hat sie so viel mehr für dieses, ihr adoptiertes Land getan, als viele, viele eingeborene Inder, denn sie hat die Menschen dort geliebt und auch das Land.

Man hätte Sonia Ghandi eine Chance geben sollen. Sie wollte ein „religionsfreies" Indien schaffen, um allen Menschen dort die gleichen Rechte einzuräumen. Ich glaube sie hätte Wunder für die größte Demokratie dieser Welt bewirken können."