Es war eine sehr interessante Woche für die indische
Politik und für die Inder selbst. Was sich von einer angespannten zu
einer tragischen Situation hätte wandeln können, wurde durch einen
magischen Wink Sonia Gandhis beendet, welcher die Massen beruhigte.
Die Menschen in Indien und der Welt nehmen kaum wahr,
dass diese Wendung der Ereignisse und Verkettung von Umständen eine
große Bedeutung für die Bevölkerung von Indien hat. Stellen wir die Uhr
ein paar Jahrzehnte zurück.
Die Teilung nach der Unabhängigkeit 1947 spaltete eine
große Nation in drei Teile: Indien, West- und Ostpakistan. Am
Schmerzlichsten davon war, dass die britischen Herren eine Grenze durch
den mächtigen und fruchtbaren Staat Punjab zogen, die nicht nur das Land,
sondern auch sein Volk, die Punjabis, teilte. Eingehendere Studien über
diesen Teil der indischen Geschichte würden zeigen, dass die Punjabis
lieber Indien als Pakistan gewählt hätten. Lassen Sie uns jetzt einen
Sprung nach vorne machen in die späten Siebziger und frühen Achtziger
Jahre, als eine Bewegung, die von einem radikalen Sikh mit Namen Jarnail
Singh Bhindranwale geführt, genug Anhänger zusammen hatte, um einen
Unabhängigkeitskrieg zur Schaffung eines neuen Staates mit Namen „Khalistan"
zu erklären. Natürlich war die Republik Indien dagegen und es begannen
Jahre der internen Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und der
Regierung.
Höhepunkt war die berüchtigte „Operation Blue
Star" im Juni 1984. Indische Truppen mit Panzern und Schützenpanzern
drangen in den heiligsten Platz der Sikhs, den Goldenen Tempel von
Amritsar ein, um die sezessionistischen Rebellen von Bhindranwale nieder
zu metzeln. Tausende von unschuldigen Männer, Frauen und Kinder starben
zusammen mit den Rebellen, darunter auch ihre Führer. Auch Hunderte von
Regierungssoldaten waren unter den Toten. Die Sikhs fühlten den Speer der
Rache in ihren Herzen und gelobten in aller Stille Vergeltung. Und die
bekamen sie. Sikh Leibwächter ermordeten die Premierministerin Indira
Gandhi in ihrer offiziellen Residenz am 31. Oktober 1984. Auge um Auge, so
sagt man… Die Hindus tobten in Neu Delhi und anderen Städten Indiens.
In den folgenden schrecklichen Wochen wurden abermals Tausende Männer,
Frauen und Kinder der Sikh getötet.
Wo würde all dies enden? Seit damals besteht Friede,
allerdings ein brüchiger. Ich glaube, dass die Wunden niemals heilten,
obwohl der Schmerz verschwand. Rajiv Gandhi übernahm nach dem Tode seiner
Mutter die Regierungsgeschäfte und blieb bis zu seinem Rücktritt nach
einer Wahlniederlage am 2. Dezember 1989 Premierminister. Er feierte ein
Come-back und die Kampagne zur Wiederwahl führte ihn auch nach Tamil Nadu
in Südindien, wo er auf tragische Weise durch einen Selbstmordbomber am
21. Mai 1991 ums Leben kam.
Bis dahin war Sonia nur die unterstützende Ehefrau und
liebevolle Mutter ihrer beiden Kinder. Aber nach dem Tod ihres Ehemannes
wurde sie geradezu in die Politik getrieben. Für die Kongresspartei war
es eine Frage des Überlebens, ein Mitglied der Jawaharlal Nehru/Indira
Gandhi Familie zu haben, der die Parteifackel weiter tragen würde. Sonia
Gandhi widerstand diesem Druck viele Jahre, aber als sie endlich nachgab
und offiziell politische Geschäfte übernahm, übernahm sie gleichzeitig
die Führung der politischen Partei, wiederbelebte diese fast im
Alleingang und machte sie wieder stark.
Ihre Gegner beleidigten sie, indem sie sich wegen ihrer
ausländischen Herkunft geringschätzig äußerten. Aber Sonia blieb
standhaft. Mit ihrem starken Willen und ihrer glänzenden Führung
schaffte sie eine der größten Wahlüberraschungen in der Geschichte
Indiens.
Aber das war kein Grund für sie, sich zu freuen, da
die Angriffe wegen ihrer ausländischen Geburt noch stärker wurden. Die
Menschen von Indien waren wieder einmal geteilt. Es gab Grund zur
Besorgnis, da interne Unruhen unmittelbar drohten und viele Menschen mit
Sicherheit ihr Leben verloren hätten.
Das war der Augenblick, in dem Sonia ihre wahre Größe
bewies. In ihrer Genialität trat sie zurück und bat Manmohan Singh, eine
der respektabelsten Persönlichkeiten der indischen Politik, an ihrer
Stelle die Verantwortlichkeiten als Premierminister der größten
Demokratie der Welt zu übernehmen. Das Schöne daran ist, dass Manhoman
Singh ein Sikh ist.
Diese in Italien geborene Inderin, die fast 60 Jahre
schwieriger indischer Geschichte und Existenz miterlebt hat, mit Hass,
Gewalt aber auch Frieden religiösen und ideologischen Zusammenstößen,
webt nun einen Teppich von Ruhe, Verständnis und Toleranz mit all ihrer
Liebe für ihr Volk.
Man muss sich das einmal vorstellen Hindus misstrauen
Sikhs und Moslems, Sikhs misstrauen Hindus und Moslems, Moslems misstrauen
Hindus und Sikhs, Sikhs wollen sich lösen, Hindus töten Sikhs, Hindus
töten Muslime, Muslime töten Hindus, Sikhs töten Hindus, Hindus töten
mehr Sikhs, Hindus töten Hindus. Plötzlich ergreift diese Dame Sonia,
Schwiegerenkelin von Jawaharlal Nehru, Schwiegertochter von Indira Gandhi,
Ehefrau von Rajiv Gandhi, die Initiative, öffnet ihre Arme und bittet um
Nachsicht und Harmonie. Sie, die geborene Katholikin, nimmt einen Sikh an
der Hand und betraut ihn mit dem höchsten Amt im Land.
Ich glaube, dass Sonia als Tochter, Ehefrau, Mutter und
Politikerin mehr als ihre Pflicht getan hat. Durch ihre Hingabe und ihr
Opfer – nicht zu vergessen ihren politischen Scharfsinn – hat sie
einen Ausgleich für all die Nehrus, Gandhis, Bhindranwales, Singhs,
Kumars, Alis und so weiter, mehr noch, für jeden Inder in der Welt
geschaffen.
Es soll jetzt Friede herrschen. Jeder Inder soll sich dem Dienst und
der Verbesserung der Lebensumstände seiner Mitmenschen in seinem
Vaterland verpflichten.