Verelendung der Sprache

Franz Schmid

Die am 1. August 1998 in den deutschsprachigen Ländern eingeführte Rechtschreibreform sorgt weiterhin für heißen Diskussionsstoff. Leider haben sich die wenigsten mit den Gründen der Reform auseinandergesetzt. Über einen langen Zeitraum hinweg hatten sich eigenständige Schreibungen entwickelt und waren kaum noch in ein Rechtschreibsystem einzubinden. Man sollte eigentlich dankbar dafür sein, dass hier versucht wurde, wieder Klarheit zu schaffen.

Die neuen Richtlinien sind bestrebt, Schreibungen zu vereinfachen. So sind unendlich viele Ausnahmeregeln abgebaut worden. Wer hat schon vor der Reform verstanden, warum man „radfahren" zusammen schreibt und „Auto fahren" auseinander? Weiterhin ist dem Schreibenden eine größere Freiheit beim Setzen von Kommas eingeräumt worden. Wortschreibungen sind auf den Wortstamm zurückgeführt worden, bestes Beispiel dafür ist „platzieren" aufgrund des Hauptwortes „Platz".

Aber Freiräume bergen, wie wir wissen, gewisse Gefahren in sich. Eine Aushöhlung der Einheitsschreibung ist heute ganz klar zu beobachten.

Inzwischen haben sich Schreibweisen eingebürgert, die sich am englischen Schriftbild orientieren. Das rührt vom großen Einfluss des Englischen auf andere Sprachen her. Speziell hier in Thailand ist dies zu beobachten, das „Pattaya Blatt" macht da keine Ausnahme.

Der frühere bayerische Kultusminister Zehetmair, damals an der Reform selbst beteiligt, hat sich mit einigen nicht von der Hand zu weisenden Argumenten zu Worte gemeldet. Dass er die Mehrzahlbildung „Gämse" für das Worte „Gams" ablehnt, mag ja noch als bayerische Schnurre durchgehen. Aber seine Bemerkungen zu den neuen Regeln der Auseinander- und Zusammenschreibung geben zu denken. Der Duden räumt auch hier große Freiräume ein.

Nach Zehetmaiers Ansicht werden Ausdrucksvielfalt und Differenzierungsmöglichkeiten dadurch stark eingeschränkt und die Sprache erleidet einen Verlust an Genauigkeit. Er bemerkte dazu: „Die Folge könne nicht sein, dass beide Schreibweisen - unabhängig vom Sinnzusammenhang - gleich wertig (gleichwertig) und damit gleich gültig (gleichgültig) sind."

Leider lässt die neue Rechtschreibung einige Kuriositäten zu, zum Beispiel beim Trennen von Wörtern. Zehemair führt als Beispiele „A-bend", „E-sel", und durcha-ckern an. Hier ist er beim letzten Wort selbst Opfer des Durcheinanders geworden, das die neue Schreibung leider angerichtet hat. Diese Trennung lässt der Duden nicht zu, nur die Trennung beim einfachen Tätigkeitswort „a-ckern" ist erlaubt.

Beide Rechtschreibungen, die alte und die neue, sind gültig. So kommt es, dass sich beide vermischen. Die einen pochen auf die alte Schreibung, haben sich aber ganz schnell den neuen Regeln bei Wörtern mit „ss" bzw. „ß" angepasst.

Leider führt dieser Zustand wirklich zur Verelendung der Sprache. Sprache ist ein Kulturgut, aber sie steht nicht unter Denkmalschutz. Wer eine Rücknahme der Rechtschreibreform fordert, ist sich nicht bewusst, dass eine Sprache ständig in Bewegung ist. Man spricht hier von einer „lebenden Sprache" im Gegensatz zu „toten Sprachen" wie Lateinisch oder Aramäisch.

Die Arbeit am Computer in breitesten Bevölkerungskreisen hat ein Übriges dazu beigetragen. Wenn ich mir da so manche Email angucke, möchte ich mit einer Abwandlung eines Berliner Sprichwortes schließen; „Rechtschreibung ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr".