Pfarrer Burkhard Bartel
und Isolde Bartel
Das Meer zog sich weit zurück am zweiten
Weihnachtsfeiertag, jenem entfernten 26. Dezember 2004. Es war gegen 9 Uhr,
als Petra von staunenden Badenden an den Strand gerufen wurde. Ein nie da
gewesenes Naturschauspiel: Die weit draußen liegenden Felsen waren zu Fuß
zu erreichen, die Kinder sammelten Fische, die das Meer in Pfützen
zurückgelassen hatte. Strahlend blauer Himmel. Nur wenige beachteten das
weit draußen weiß glitzernde Band einer sich aufbauenden Riesenwelle. Auch
Petra rannte erst um ihr Leben, als die Welle schon fast den Strand erreicht
hatte. Sie überlebte wie durch ein Wunder. Aber ihren Mann Piri hat sie
verloren.
Zwei Monate später kommt Petra nach Thailand zurück.
Alle Angehörigen der 36 Verstorbenen und vieler Vermisster dieser kleinen
Bucht sind zur Trauerfeier am 26. Februar gekommen. Anschließend fahren wir
zum Vorplatz des Tempels, wo Petra vor zwei Monaten Piri dem Feuer übergab.
Der Platz ist noch unberührt und wir finden tatsächlich Reste von Knochen,
die wir einsammeln. Am Abend traut sich Petra ans Wasser und übergibt dem
Meer die sterblichen Überreste. Sie sagt: „Ich habe mit dem Meer Frieden
geschlossen".
In Thailands Süden hat der Wiederaufbau begonnen und die
Katastrophenhilfe der ersten Wochen abgelöst. Die Lage hat sich entspannt,
die Überlebenden kommen langsam zur Ruhe. Die Familien, die ihre Häuser
und Güter durch die Flutwelle verloren haben, leben in provisorischen
Häusern. In den vergangenen zwei Monaten ist Großartiges geleistet worden.
Es ist aber zu befürchten, dass man auch hier die Fehler von anderen
Krisengebieten wiederholt.
Das kleine Fischerdorf Baan Thalee Nok, nördlich von
Khura Buri, war bis vor vier Wochen noch nicht „entdeckt". Inzwischen
eignet sich dieses Dorf wohl als Mikroprojekt für einen
Anschauungsunterricht. Man kann die Fehler sehen, die auch im großen
gemacht werden. Mehr als 15 Organisationen aus vielen Ländern arbeiten vor
Ort und kaum etwas wird koordiniert. In der provisorischen Grundschule
stehen sechs nagelneue Hochleistungscomputer, die niemand braucht und die
vielleicht kaputt sein werden, noch bevor sie überhaupt an den Strom
angeschlossen werden.
An diesem Wochenende kommen über hundert Studenten aus
Bangkok in das Dorf, um ein Versammlungshaus zu bauen. Die Bevölkerung ist
sich, jedenfalls im Moment, gar nicht sicher, ob sie das überhaupt will
oder brauchen kann. Ihre größte Sorge ist, wohin die Leute aus der
Großstadt aufs Örtchen gehen - richtige Toiletten gibt es noch nicht.
Viele Spender wollen ihre Hilfe einem eng begrenzten
Zweck geben, für Waisen oder Waisenhäuser, Kindergärten und Schulen. Es
sind nur wenige Schulen zerstört worden. Das macht das Königshaus und die
thailändische Regierung. Die Waisenkinder sind bei Familien untergekommen.
Waisenhäuser gibt es in dem überschwemmten Gebiet keine, und es werden
wohl auch keine gebaut. Krankenhäuser wurden keine in Mitleidenschaft
gezogen. Strom und Wasser war von der Regierung in wenigen Tagen wieder
bereit gestellt worden.
Ich war letzte Woche in einigen Camps. Da leben zwischen
500 und 2.000 Menschen, die Hab und Gut sowie Familienmitglieder verloren
haben. Manchmal hatte ich dort den Eindruck der Überversorgung. Warum soll
ein Fischer denn noch sein Netz reparieren, wenn er allein an einem einzigen
Tag von jemandem einen Geldbetrag bekommt, der sein Jahresgehalt um fast das
Doppelte übersteigt? Ich konnte mehrfach bei solchen Übergaben zusehen.
Amerikaner kamen mit einem Lieferwagen und verteilten
Wolldecken und Spielzeug an die Kinder. Manche Kinder waren sehr
wählerisch, weil sie am Tag vorher bessere Sachen erhielten. Ich habe das
fotografisch dokumentiert. Daneben stand ein Missionar aus Australien mit
Fernsehteam, der Gott lobte für seine Tat, da er die Thailänder dadurch
bereit für den Empfang des Evangeliums machte. Als ich sagte, dass diese
Leute überfordert sind von dem, was gerade abgeht, schaute er mich fragend
an. Eine Engländerin betete mit Handauflegung mit einer jungen Buddhistin
in einer Mischung aus Krankenheilung und Geisteraustreibung. Ich schämte
mich für alle.
In einigen Camps besuchte ich Familien und konnte hinter
den Vorhang sehen. Da lagen Stapel von Reissäcken. Eine Familie hatte in
der Vorratshaltung über 200 1,5-Liter-Trinkwasserflaschen. In einem kleinen
Lager zählte ich über 80 neue Motorräder. Bisher tat es auch ein Fahrrad.
Warum sollen diese Lagerleute also wieder zurück und ihr Haus aufbauen? Sie
sind überfordert durch Überförderung. Man nimmt diesen Menschen ihre
Würde. Sie werden jetzt ein zweites Mal von einer Welle unbekannten
Ausmaßes überrollt. Und die Folgen davon werden ebenfalls sehr groß und
langanhaltend sein.
Ausländer werden in Lagern von Kindern überaus
freundlich mit einem Wai begrüßt und dem Wort Tsunami. Das hat fast den
Klang der Bakschisch-Rufe der Kinder in Ägypten. Die Kinder betteln die
Fremden nicht an, aber das Verhalten gibt einem doch zu verstehen, dass man
als Fremder mit gutem Herzen („Farang Jai Dee") angesehen wird, der
gekommen ist und gleich seinen Geldbeutel aufmachen wird.
So suchten Firmen im Auftrag der Regierung in den Camps
nach Hilfsarbeitern und Tagelöhnern die kräftig zupacken können, üblich
ist der Tages-Mindestlohn von 175 Baht. Nur wenige wollten arbeiten. Im
Lager ist es viel ertragreicher, denn da ist ein Kommen und Gehen von vielen
Hilfsorganisationen und wohlwollenden Spendern.
Wir lassen uns dadurch nicht entmutigen. Im Gegenteil.
Wir sehen, was falsch läuft. An vielen Stellen wurden Häuser für die
Campbewohner gebaut. Was aber tun, wenn sie in einigen Monaten lieber wieder
in Holzhäusern leben möchten? Warum sollten wir einen Schulaufbau
finanzieren, wenn dies schon der König tut? Warum sollte ich einem Mann ein
Motorrad schenken, wenn er schon eins besitzt?
Wir haben die Finanzierung von fünf Häusern übernommen
bzw. zweckbestimmte Gelder direkt an dieses Projekt weitergegeben. Bisher
kamen 130.000 Euro zusammen. Bis jetzt haben wir für unterschiedlichste
Projekte 54.000 Euro ausgegeben. 10.000 Euro davon erhielt unsere
Partnerkirche Church of Christ in Thailand (CCT) für den Aufbau von zwei
Trauma-Beratungszentren und die Entsendung von thailändischen Beratern.
Wir haben keine Eile. Erst in sechs Monaten oder einem
Jahr wird sich zeigen, wer durch das Netz der Hilfe gefallen ist. Wir
bezahlen mit Hilfe von Pfarrer Suchat in Takua Pa das Schulgeld für
Waisenkinder. Wir unterstützen Familien und Einzelne, die bisher noch keine
andere oder nur wenig Hilfe erhalten haben. Vereinzelt haben wir auch
Krankenhauskosten übernommen von Patienten, die immer noch in Behandlung
sind. Viele Wunden heilen nur sehr langsam, verursacht durch das verschmutze
Meerwasser. Ein Fischerdorf hat alle 34 Boote verloren.
Wir haben drei Boote mit Motor übernommen zu je 600
Euro. Andere Fischer haben viel größere Boote verloren, deren
Wiederbeschaffung bis zu 1500 Euro kostet. Wir helfen mit einem Teilbetrag.
Inzwischen sind diese Boote im Bau. Für das Dorf Laem Naew haben wir den
Kauf des gesamten Holzes übernommen, das für den Neubau und die
Reparaturen der Schiffe benötigt wird. Außerdem brauchte man dort einen
neuen Stromgenerator, der seit gestern wieder täglich von 18 bis 22 Uhr
Licht liefert.
Wer sind eigentlich diese „wir"? Das sind
Mitarbeiter unserer Gemeinde hier in Bangkok. Ein „Organisationskreis Khao
Lak" trifft sich in unregelmäßigen Abständen und bespricht Ziele,
Projekte und Vorgehensweise. Der Kirchengemeinderat beschließt die
Projekte. Zwei Monate lang wurden wir unterstützt von Carola Helwig aus
Hamburg, die ehrenamtlich hierher kam und unsere Hilfe im Süden
mitorganisierte. Für vier Wochen ist jetzt der Pfarrer im Ruhestand Dieter
Hemminger aus Pforzheim da. Er kann mich hier in Bangkok vertreten mit
Gottesdiensten und Religionsunterricht. Und dann haben wir mehrere
Mitglieder der Gemeinde, die sich immer wieder einige Tage frei machen, um
ebenfalls Not vor Ort zu lindern. Das alles kann nur gemacht werden mit dem
unermüdlichen Einsatz und Organisationstalent meiner Frau Isolde. So wird
die Last von vielen Schultern getragen.
Wir wissen uns getragen von einem großen Freundeskreis.
Ganze Gemeinden und Schulen haben sich beteiligt mit großartigen Aktionen
und Benefizveranstaltungen und mit unermüdlichem Einsatz Einzelner.
Herzlichen Dank für alle Ermutigungen in Hunderten von Briefen und Emails.
Viele von euch sind uns auch in der großen räumlichen Entfernung sehr nahe
gekommen. Wir danken für eure Mitgefühle, eure guten Gedanken, eure Gebete
und eure großzügigen Spenden. Viele Spender blieben uns aber unbekannt,
weil uns von der Bank nur der Name übermittelt wird. Ganz herzlich danken
wir auch für das Vertrauen vieler Familien, die Kontakt mit uns aufnahmen,
weil sie Angehörige hier in Thailand verloren haben. So konnten wir Anteil
an deren Schicksal nehmen. Wir wollen auch in Zukunft ihre Rufe nicht
überhören und sie weiterhin unseren Möglichkeiten entsprechend begleiten.
Aber ich möchte auch nicht verschweigen, dass wir nicht
überall nur Zustimmung zu dieser Arbeit erhalten. Nicht nur Jugendliche
getrauen sich jetzt zu sagen, im Abstand zu den Ereignissen des 26.
Dezember: Ich kann die Worte „Tsunami" und „Khao Lak" nicht
mehr hören. Die Deutschen wären ja jetzt alle zurück und für die Thai
oder gar die Moken, die Seenomaden, wären wir als evangelische Gemeinde
deutscher Sprache nicht zuständig. Obwohl das verletzt, macht es uns doch
nicht müde und wir werden nicht nachlassen in unserem Engagement zur
Linderung der Not. Und wir fragen dabei weder nach der Staats- noch nach der
Religionszugehörigkeit.
750 westliche Touristen sind inzwischen von den
forensischen Teams aus vielen Ländern identifiziert. Auch 50 Mitarbeiter
aus Deutschland sind dabei. Wir haben Kontakte zu diesen Stellen, können
aber natürlich keine sachdienlichen Auskünfte geben. Der Einsatzleiter bat
uns aber, doch den Hinweis auf die Homepage des BKA weiterzugeben. Dort ist
alles Wichtige zu diesem Thema zu finden. Das möchten wir gerne tun:
http://www.bka.de . Auf mehreren Seiten wird dort der ganze Vorgang
verständlich erklärt.
Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in Thailand,
343/1 Sukhumvit Road Soi 31, Bangkok 10110, Thailand, Tel: 0066-02258 0680,
Fax: 0066-02261 1746, Handy : 0066-(0)-1815 9140, Email:
[email protected] Homepage: www.diebruecke.net