„Es gibt keinen Schlussstrich“

Das Ende des Zweiten Weltkrieges: Die Welt liegt in Trümmern – und atmet auf. 60 Jahre danach begehen die einstigen Feinde gemeinsam diesen Gedenktag, ein Wandel in der Geschichtsbetrachtung?

Es gibt nur noch wenige, die diesen schrecklichen Krieg miterlebt oder an Kampfhandlungen teilgenommen haben. Andere Generationen sind nachgewachsen, die ihn nur aus Geschichtsbüchern oder Erzählungen der Eltern oder Großeltern kennen.

Hatte der Erste Weltkrieg schätzungsweise 10 Millionen Todesopfer gefordert, forderte der Zweite Weltkrieg fast 60 Millionen Menschenleben, darunter über 20 Millionen Zivilisten. Dieser Krieg war die größte und blutigste zusammenhängende Auseinandersetzung in der Geschichte der Menschheit. Er begann mit dem Ausbruch des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs in Asien am 7. Juni 1937 und mit dem deutschen Überfall auf Polen in Europa am 1. September 1939.

Der Zweite Weltkrieg war durch eine starke Ideologisierung geprägt, die zu unzähligen Kriegsverbrechen und zu gewaltsamen, meist systematischen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung führte. Die Kriegsschauplätze befanden sich in Asien, dem Pazifik, in Europa und in Nordafrika. Beendet wurde der Zweite Weltkrieg in Europa am 8. Mai 1945 und in Asien mit der Kapitulation Japans am 14. August 1945.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Deutschland ein Wirtschaftswunder. Das war nicht selbstverständlich. Politische Kreise der Alliierten wollten Deutschland auf den Stand einer drittklassigen Macht bringen, allenfalls ein von der Landwirtschaft lebender Staat sollte es nach ihrer Vorstellung sein. Man fürchtete die Wiederauferstehung der grässlichen Fratze des Nationalsozialismus. Doch die Realpolitiker auf beiden Seiten des Atlantiks setzten sich durch, die ein friedliches Europa nur durch die Integration Deutschlands gewährleistet sahen.

Für das deutsche Volk war es eine bittere und schmähliche Niederlage. Das „Tausendjährige Reich" musste bedingungslos kapitulieren, die einstigen Führer zogen sich mit Selbstmord aus der Verantwortung.

Für diejenigen, die überlebt und die Trümmer beiseite räumen und den Neuanfang wagen mussten, war es eine orientierungslose Zeit. Die alten Vorbilder und Ideologien waren zu Staub zerfallen, der Gedanke der Demokratie hatte in Deutschland nie recht Fuß fassen können. Übrig blieben für viele nur Lebenslügen, denn die Wahrheit war unerträglich. Legenden, Ausreden und Halbwahrheiten waren schnell bei der Hand. Wie sollte der einzelne Mensch auch erklären, warum er blindlings einem totalitären und menschenverachtenden Regime nachgelaufen ist? Gab es da nicht doch ein paar Helden oder zumindest einige, die von den Konzentrationslagern, der barbarischen Vernichtung von Judenvierteln oder dem Vorgehen gegen Zivilisten auf dem europäischen Kontinent nichts wussten, obwohl sie doch zur damaligen Führungsspitze gehörten?

Alle diese Vermutungen halten einer Überprüfung nicht statt. Ein Volk wird aus seiner Gesamtgeschichte heraus beurteilt. Es gab auch zur Zeit des Naziregimes Vorbilder. Allerdings anderer Art, als sich dies die Machthaber wünschten: Priester, Akademiker, Militärs und einfache Leute im Widerstand. Dies waren die Ausnahmen, wobei man nicht vergessen darf, dass alle unterschiedliche Motive hatten.

Nach dem Zusammenbruch trauerten viele der alten Zeit nach, da sie mit der neuen nichts anfangen konnten. Und eine neue Generation von ewig Gestrigen ist nachgewachsen. Doch der Jahrestag war ein Tag der Versöhnung und der Besinnung. Die ewig Gestrigen von damals und heute kamen nicht zum Zuge.

Ob die Rede des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler auf der zentralen Gedenkfeier in Berlin ihre Wirkung zeigt, wird sich erst in vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, erweisen. „Es gibt keinen Schlussstrich", sagte er und rief dazu auf, im Gedenken an die vielen Millionen Toten des Krieges für Demokratie, Menschenrechte und Frieden einzutreten.

Köhler bedankte sich in bewegenden Worten bei „den Völkern, die Deutschland besiegt und vom Nationalsozialismus befreit haben", daher sei Deutschland „heute ein anderes Land als vor 60 Jahren." An die ewig Gestrigen gewandt, sagte er: „Wir haben heute guten Grund, stolz auf unser Land zu sein. Leider gibt es weiter Unbelehrbare, die zurück wollen zu Rassismus und Rechtsextremismus. Aber sie haben keine Chance."