Der Supergau: Vogelgrippe gefährlicher als der Tsunami?

Franz Schmid

Nach dem Auftreten des Vogelgrippe Virus H5N1 in Europa schrillen bei der Weltgesundheitsorganisation alle Alarmglocken. Forscher beobachten mit Sorge das Vogelvirus H5N1, das besonders aggressiv ist und sich schnell verändert. Schlimmstenfalls könnte es so mutieren, dass es von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Auch der Erreger der Spanischen Grippe von 1918 war ursprünglich ein reines Vogelvirus. Weltweit starben damals in einer Pandemie über 20 Millionen Menschen.

Zum besseren Verständnis: Sowohl Menschen als auch Tiere sind anfällig für Grippeviren, aber nicht alle sind für Mensch und Tier gleichermaßen ansteckend. Während Menschen normalerweise von Influenza-B-Viren oder von Influenza A-Viren der Subtypen H1N1 und H3N2 befallen werden, wird die Vogelpest meist durch Influenza A-Viren der Subtypen H5 und H7 übertragen. Es gibt 15 verschiedene Subtypen des Vogelgrippevirus – das meist nur das Federvieh befällt. Nur die Untergruppen H5 und H7 führen zu den schweren Erkrankungen, die derzeit im asiatischen Raum auftreten.

Seit dem 16. Jahrhundert hat es vermutlich 30 Mal Grippe-Pandemien gegeben. Im letzten Jahrhundert kam es drei Mal dazu, nämlich 1918, 1957 und 1968. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegen durchschnittlich 27,5 Jahre zwischen zwei Pandemien.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wurden im letzten Jahrzehnt etliche Erkrankungen von Menschen und Vögeln durch Vogelvirengrippen nachgewiesen, unter anderem: 1997 in Hongkong durch ein H5N1-Virus: es gab 18 Erkrankte und 6 Tote. 1999 wiederum in Hongkong durch ein H9N2-Virus: es gab 2 Leichterkrankte. Im Dezember 2002 sind einige Zugvögel in Hongkong am H5N1 Virus verendet. Warum es nicht zu einem großen Ausbruch kam, ist unklar. 2003 in den Niederlanden durch ein H7N7-Virus: es gab 83 Erkrankte und einen Toten. Im selben Jahr in China durch ein N5N1-Virus: es gab 2 Erkrankte und einen Toten. Gleichfalls 2003 in Hongkong eine laborbestätigte Erkrankung durch H9N2 bei einem 5-jährigen Kind.

Bisher rührten die Ursachen der Erkrankungen durch das H5N1-Virus aus zu engem Kontakt von Mensch und Geflügel her. Nur von Schweinen und Menschen ist bisher bekannt, dass sie sowohl an Vogelgrippe als auch an der menschlichen Grippe erkranken können. Sollten jedoch beide Viren in dieselbe Zelle gelangen, könnten sie durch Gen-Austausch ein gefährliches Mischlings-Virus schaffen, das die bei Vögeln tödliche Wirkung behält und von Mensch zu Mensch übertragbar ist.

Das wäre der Supergau, denn beim ersten Ausbruch von 1997 lag die Sterblichkeitsrate bei 30 Prozent, die Seuche konnte aber durch Massenschlachtung von Geflügel unter Kontrolle gebracht werden. Wie ein neu mutierter Virus bekämpft werden kann, kann man nur vermuten. Solange es nicht existiert, kann auch kein Gegenmittel hergestellt werden. Eine vorsorgliche Einnahme von Medikamenten gegen Grippe halten viele Experten für zweifelhaft, da eventuell beim Ausbruch einer Pandemie der menschliche Körper keine Immunstoffe mehr entwickeln kann.

Viele Gesundheitsexperten und Politiker haben sich für einen internationalen Notfallplan gegen die Geflügelpest ausgesprochen. So auch der indonesische Präsident Yudhoyono: „Diese Seuche kann gefährlicher sein als der Tsunami, der im vergangenen Jahr in wenigen Minuten Hunderttausende von Menschen getötet hat."

Die Sorge ist nicht unbegründet: Die Vögel, die vermutlich das Virus H5N1 in die Türkei gebracht haben, sind nun auf den Weg in den Nahen Osten und nach Afrika. Sie fliegen dabei durch einige der ärmsten und am schlechtesten überschaubaren Weltgegenden. Selbst wenn es gelingt, eine Pandemie in Europa und Asien zu verhindern, ist es nicht gesagt, dass damit auch gleichzeitig der Virus ausgerottet wird.