Sprachbarrieren und Sprachmuster

Peter Nordhues

Die gesprochene Sprache ist das hervorragende Merkmal, das den Menschen von allen anderen Spezies auf dieser Erde unterscheidet. Nur der Mensch ist in der Lage, sich seinem Artgenossen ausführlich mitzuteilen.

Schon im Kleinkindalter werden die ersten Worte gebildet und der Wortschatz erweitert sich dann im Laufe der Jahre sehr schnell. Kinder versuchen in eigenen selbstgeschaffenen Wörtern ihre Umwelt zu beschreiben, wenn ihnen das passende fehlt (z. B. Flieg Flieg für Flugzeug).

Ein Kleinkind kann jede beliebige Sprache als Muttersprache erlernen, es hängt lediglich vom Ort seines Aufwachsens ab. Oft geschieht es, dass ein im Ausland geborenes Kind die Sprache des Gastlandes annimmt, wenn die Eltern die Pflege der Heimatsprache vernachlässigen.

Die Sprache dient nicht nur dazu Informationen auszutauschen, in viel höherem Maße werden Gefühle und persönliche Meinungen dargestellt. Wenn Leute nicht mehr miteinander sprechen, so ist die menschliche Gemeinschaft untereinander aufgekündigt.

Jede Sprache unterliegt einem immerwährenden Wandel. Einflüsse innerhalb und außerhalb des Sprachraums lassen neue Wörter und Redewendungen entstehen, Wörter kommen außer Gebrauch und „sterben aus". Sondersprachen erstarren; den Ausdruck Fernsprecher benutzt nur die Deutsche Post, die anderen sagen Telefon.

All dies vollzieht sich langsam, fast unmerklich. Das Erlernen einer Sprache ist ein lebenslanger Vorgang. Während des „Dritten Reiches" lebten viele Dichter und Schriftsteller im Exil und verloren den Kontakt mit der gesprochenen Sprache und der Schriftsprache.

Peter Weiss schreibt über diese Zeit: „Ausdrücke fehlten mir und ich musste im Lexikon nachschlagen." Bei Bertold Brecht finden wir in einem Gedicht, das er im skandinavischen Exil geschrieben hat, das Wort Panzerbil, eine Zusammensetzung aus dem deutschen Wort Panzer und dem dänischen bil für Auto.

Alle, die lange Zeit im Ausland leben, machen ähnliche Erfahrungen. Die natürliche Verbindung zur Muttersprache ist unterbrochen. Die Sprache des Gastlandes überlagert die Ausdrucksweise. In Thailand hat die englische Sprache einen großen Einfluss. In die Umgangssprache vieler Deutschsprachigen sind Ausdrücke wie land office, immigration, dine out, maintenance, VAT eingedrungen; in der Heimat würde die Benutzung dieser Begriffe leichtes Augenbrauenheben hervorrufen.

Aber auch das Thailändische hinterlässt seine Spuren. Wörter wie chanot oder soi sind allgemein üblich. Für chanot könnte man noch mehr schlecht als recht Landtitel sagen, aber ganz richtig ist das nicht. In Deutschland sieht eine Eintragung auf dem Grundbuchamt eben anders aus als in Thailand. Soi kann man nicht durch Gasse, kleine Straße oder Nebenstraße so einfach ersetzen, es trifft nicht den Sachverhalt.

Sois in Bangkok haben oft eine Länge von mehreren hundert Metern, das würde in Deutschland nicht als Nebenstraße durchgehen. Ein Satz wie: „Das Postamt liegt in der Postamt-Nebenstraße an der Strandstraße" klingt außerdem arg gekünstelt. Im Alltag lautet er meist so: „Das Postamt liegt in der Soi Post Office an der Beach Road." Hier kommen gleich alle drei Sprachen in einem Satz vor.

Die Sprache passt sich der sprachlichen Umgebung an. Diese Aufnahmefähigkeit haben alle Sprachen. Die Deutschsprachigen hier nehmen in ihre Gruppensprache ortsübliche Begriffe auf. Auf der anderen Seite jedoch bleiben ihnen Wandlungen der Sprache in ihrer Heimat verborgen.

Man spricht in diesem Falle von einer „Erstarrung" oder „Vereisung" der Muttersprache. Kommt man nach vielleicht langen Jahren aus dem Ausland in die Heimat zurück, bekommt man das zu spüren.

Man kann zwar alles verstehen, aber oft befindet man sich auf der Suche nach einem treffenden Begriff. Die im Ausland verwendete Gruppensprache kann nicht mehr gebraucht werden. Glücklicherweise dauert der Lernprozess nicht allzu lange, um sich wieder in der Ausdrucksweise der Heimat zurecht zu finden.