Dr. Ioan Voicu
Besuchs-Professor
an der Assumption Universität Bangkok
Bezüglich des Artikels „Besteht noch Hoffnung für die
EU-Verfassung?" von Jerome Kim (Global Views, 18. Oktober 2005), in
welchem der Autor die Meinung vertritt, dass die Hoffnung auf die
Wiederbelebung der EU-Verfassung (CT) in naher Zukunft gering, wenn nicht
gar nicht vorhanden sei, möchte ich dazu feststellen, dass es zu diesem
Thema auch andere Ansichten gibt.
Jose
Manuel Barroso, Präsident der EU Kommission.
Vorweg sollte aber erst richtig gestellt werden, dass
nicht nur 13, sondern 14 Länder die CT ratifiziert haben.
Das Entwerfen der Verfassung, ein komplexes rechtliches
Schriftstück mit mehr als 65.000 Wörtern, war eine äußerst schwierige
politische und diplomatische Aufgabe, jedoch ein wesentlicher Teil des tief
gehenden Bestrebens für die Bildung einer Einheit mit einer distinkten
Identität, die sich mit einer starken Stimme in der Weltgemeinschaft
äußern kann.
Für realistische Autoren bedeutet das „Nein" zur
CT in Frankreich und den Niederlanden eine traurige Niederlage der
politischen Führung, die eher Verwirrung als Verständnis über die
Grundlagen der neuen Verfassung zeigt. Folglich sollte die EU eher als Teil
der Lösung denn als der Urheber des Problems betrachtet werden.
Österreichs
Kanzler Wolfgang Schüssel.
Allgemeiner Pessimismus zum Thema EU mag sich als
unangebracht erweisen. Die Optimisten verlangen eine Weiterführung des
Ratifikationsprozesses, darauf hinweisend, dass die Mehrheit (14 Länder)
sich bereits damit einverstanden erklärt hat.
Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel, der im Jahr 2006
die turnusmäßig wechselnde Präsidentschaft übernehmen wird, sagte, dass
Frankreich und die Niederlande im Jahr 2007 erneut über die Konstitution
abstimmen sollten. Seine Meinung ist, dass der Machtwechsel in den beiden
Ländern den Weg für eine neue erfolgreiche Wahl ebnen könne.
Bei Beachtung dieses Kontextes ist es reichlich früh,
die CT für tot zu erklären, wie es einige Analsten vorziehen. In der
Diplomatie kann unproportionaler Pessimismus oder Optimismus zu ernsthaften
Fehlern führen. Für den Erfolg wird verantwortungsbewusster Visionismus
benötigt.
Im Hinblick auf diese Sachlage ist es angebracht, sich an die Worte
Robert Schumanns zu erinnern, einem der Väter der EU. Er sagte, dass die
Einheit Europas mit Geduld gebildet werde, nicht abstrakt, aber durch eine
gewisse Anzahl klar definierter Maßnahmen, sowohl durch Solidarität in der
Ausführung, als auch durch gerechte Verteilung der Verantwortungen. Auf
diesem Wege mag Europa am Ende ein einmaliges Kapitel internationaler
Beziehungen abschließen.