Franz
Schmid
Zum ersten Jahrestag der Tsunami-Tragödie vom 26.
Dezember 2004 fanden in vielen Ländern Süd- und Südostasiens Gedenkfeiern
statt. Neben den offiziellen staatlichen Feiern gedachte man in vielen
Gottesdienstes aller Religionen der Toten.
Tausende werden noch vermisst. Die Hoffnung, sie jemals
wiederzufinden, ist gering. Ein Jahr ist inzwischen vergangen, und die
Vermissten gelten bei den Behörden als „wahrscheinlich tot". Neben
der Tragödie der betroffenen Familien tun sich jedoch auch Fragen auf, wie
es dazu kommen konnte, dass so viele Menschen starben, ohne in der noch zur
Verfügung stehenden Zeit gewarnt zu werden.
Einige Wissenschaftler sind der Überzeugung, dass ein
großer Teil der Opfer nicht durch die Wassermassen ums Leben kam, sondern
durch die Nachlässigkeit der Behörden in den betroffenen Staaten.
Dazu muss man die Natur eines Tsunamis verstehen.
Tsunamis (japanisch: große Hafenwelle) sind Riesenwellen, die vor allem in
Ozeanen durch starke Erschütterungen entstehen. Reißt zum Beispiel ein
plötzliches Erdbeben große Wassermassen aus dem Gleichgewicht, breitet
sich die Energie in Form von Wellen aus. Einen ähnlichen Effekt kann man
übrigens beobachten, wenn man von unten gegen einen Blecheimer tritt.
Mit der Spitzengeschwindigkeit eines Verkehrsflugzeuges
breiten sich die Wellen kreisförmig vom Zentrum des Seebebens aus. Auf
hoher See sind sie noch ungefährlich. Gerade zwei bis drei Meter hoch
werden die Wogen selbst von Schiffsbesatzungen kaum wahrgenommen. Die
riesige Kraft der Wellen macht sich je nach Bodenbeschaffenheit und
Meerestiefe vielleicht nur als sanftes Schaukeln bemerkbar. Der Abstand
zwischen den Wellenkämmen kann zudem bis zu 100 Kilometer betragen.
Erst auf den letzten Metern wird der Tsunami tödlich,
wenn der Meeresboden am Ufer ansteigt. Vom Land aus sieht man zuerst, wie
die sich aufstauende Welle den Meeresboden trocken legt. Dann türmt sich
der Tsunami zu einem Wasserberg auf, der eine Höhe von über 30 Metern
erreichen kann.
Tsunamis sind aber eher selten. Seebeben, deren
Epizentrum nahe der Erdoberfläche liegen, führen erst ab einer Stärke von
7 auf der Richterskala zu Tsunamis. Daher wurden zwischen 1860 und 1948
weniger als ein Prozent der Seebeben als Auslöser von Tsunamis gemessen.
Die tödliche Wasserfront kommt nicht plötzlich, auch
wenn die Welle rasend schnell ist. In der Regel bleibt nach Angaben von
Fachleuten eine Zeit von 20 Minuten bis zu zwei Stunden, um die Menschen zu
warnen. Jedoch müssen sie rechtzeitig vorgewarnt werden.
Technisch sind Tsunami-Frühwarnanlagen kein Problem. Im
Pazifik wurde im Jahre 1949 das Pacific Tsunami Warning Center (PTWC)
gegründet. Seismographische Institute registrieren die Seebeben und geben
Warnmeldungen heraus. Allerdings ist dabei die Gefahr von Fehlalarmen groß,
so dass die Küstenbevölkerung den Warnungen keinen Glauben mehr schenkt.
Für die im letzten Jahr betroffene Region gab es ein solches Warnsystem
nicht und die Warnung der Seebebenwarte in Hawaii wurde in den Wind
geschlagen.
Doch das Ausmaß der Katastrophe hat zu einem Umdenken
der Regierungen geführt. Seit November 2005 wird das unter deutscher
Beteiligung entstandene Tsunami-Frühwarnsystem - Tsunami Early Warning
System (TEWS) - in der geologisch kritischsten Zone des Indischen Ozeans,
dem Sunda-Bogen, installiert. Das TEWS soll künftig entscheidend zum Schutz
vor Naturkatastrophen wie Tsunamis beitragen. In die Entwicklung des Systems
sind auch Erkenntnisse aus der Erdbebenforschung eingeflossen, die das
GeoforschungsZentrum (GFZ) Potsdam gemeinsam mit weiteren Institutionen
betreibt.
Tritt ein Seebeben in Küstennähe auf, ist jedoch jede
Warnung wirkungslos. In Japan hat man daher hohe Deiche gebaut, um sich vor
der Welle zu schützen. Das ist in den im letzten Jahr betroffenen Gebieten
jedoch schon aus finanziellen Gründen nicht möglich.
Auch wenn das Frühwarnsystem installiert ist, bleibt
immer ein Restrisiko, denn Naturereignisse liegen außer jeder
Einflussmöglichkeit des Menschen. Wir können nur alle hoffen, dass sich
diese Tragödie in unserer Lebenszeit nicht mehr wiederholt.
Die Toten sind uns Mahnung, wie vergänglich alles
Menschenwerk ist.