Die neue Armut in Deutschland

Franz Schmid
Zurzeit ist in Deutschland eine große Diskussion über eine neu entstandene Unterschicht im Gange. Die traurige Bilanz einer Studie der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass acht Prozent der Deutschen der Unterschicht angehören. Am größten ist der Anteil in Ostdeutschland, dort sind es 20 Prozent, in Westdeutschland sind es „nur“ vier Prozent.
Wie konnte es zu dieser dramatischen Entwicklung beim „Exportweltmeister“ Deutschland kommen? Schuldzuweisungen sind schnell gefunden. Der verflossenen Regierung Schröder wird von Teilen seiner eigenen Partei vorgeworfen, die Hartz-IV-Gesetze und sein Reformprogramm Agenda 2010 hätten dazu beigetragen, die Armut zu vergrößern.
Konservative Wirtschaftswissenschaftler glauben, dass Deutschland auf Dauer seine Stellung als Exportweltmeister nicht halten kann. Begründung: Ein Hochlohnland hat im globalen Wettbewerb langfristig keinerlei Chance. Dabei kommt der soziale Aspekt aber zu kurz, denn Deutschland ist zwar Hochlohnland, aber auch ein Hochpreisland.
Wer ist in Deutschland arm, und wer ist reich? Auch dazu gibt es interessante Zahlen. Zehn Prozent der Bevölkerung besaßen im Jahre 2003 fast die Hälfte aller Vermögenswerte (46,8 Prozent). Auch das ist Ausdruck einer wirtschaftlichen Schieflage, da die erwirtschafteten Mittel recht einseitig nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugute kommen.
Einer Erhebung eines Meinungsforschungsinstituts zufolge ist in der Unterschicht die finanzielle Unsicherheit sehr groß, das monatliche Haushaltseinkommen ist gering, Wohnungseigentum oder Ersparnisse fehlen, Schulden drücken und der familiäre Rückhalt ist gering. Diese Menschen fühlen sich von der Gesellschaft allein gelassen. Viele glauben, eine Abschottung Deutschlands gegenüber Ausländern, in erster Linie Gastarbeitern oder Zuwanderern aus EU-Staaten, könne ihre Probleme lösen.
Für ein „reiches“ Land wie Deutschland sind diese Erkenntnisse ein Skandal. Bei gutem Willen sind aber Lösungswege vorstellbar. In erster Linie sollten die Bildungschancen der unteren Schichten verbessert werden. Wie in den 70er Jahren sollte Kindern aus einfachen Familien die Förderung mit Bafög und zweitem Bildungsweg für ein Studium ermöglicht werden. Staat und Unternehmen müssen mehr leisten, um den Abbau der Arbeitslosigkeit zu beschleunigen. Auch höhere Steuern tragen nicht dazu bei, die Situation der Unterschicht zu verbessern. Eine Anhebung der Mehrwerststeuer trifft vor allem Leute mit kleinem Einkommen.
Letztendlich kann den Unternehmen ihre Verantwortung von niemand abgenommen werden. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, fasst dies treffend so zusammen: „Die Wirtschaft darf nicht länger stolz sein, wenn sie Arbeitsplätze abbaut und zugleich Renditen steigert.“