Wie viele Verfassungen braucht ein Land?

Franz Schmid

Zurzeit ist ein Entwurf für eine neue thailändische Verfassung in Vorbereitung. Ausgearbeitet wird diese durch einen vom Militärregime ernannten Verfassungsrat. Erstmals in Thailand soll in einer Volksabstimmung den Wahlberechtigten dieser Entwurf vorgelegt werden. Dieser Schritt ist selbst für westliche Verhältnisse außergewöhnlich.
Thailand ist seit einem unblutigen Umsturz 1932 eine konstitutionelle Monarchie. Staatsoberhaupt ist nominell der König, der keinen direkten Einfluss auf die Tagespolitik nimmt, sondern eher ein repräsentatives Amt bekleidet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die thailändische Verfassung mehrmals in wesentlichen Teilen geändert. 1959 wurde eine neue provisorische Verfassung mit größeren Vollmachten für den Regierungschef in Kraft gesetzt. 1968 erfolgte eine Verfassungsreform mit erweiterten Vollmachten für den Regierungschef und einer zusätzlichen Kammer für das Parlament, während die neue Verfassung von 1974 die Eingriffsmöglichkeiten der Regierung beschnitt. Die Verfassung von 1997 wurde nach dem Putsch von 2006 außer Kraft gesetzt. Die Geschichte der thailändischen Verfassungen ist also sehr bewegt. Die Verfassungen wurden jeweils auf die gerade herrschende politische Situation zugeschnitten. Auch diesmal sieht es danach aus.
Wenn die derzeitigen Mächtigen wirklich ein Interesse an einer dauerhaften Verfassung haben, die die Rechte der Bürger und die Pflichten der Regierenden beschreibt, warum halten sie sich nicht an altbewährte Muster? Nach der Kapitulation Japans vor den USA sagte General MacArthur zu Präsident Truman, man benötige ein halbes Jahr, um eine neue Regierungsform auszuarbeiten. Truman gab ihm sieben Tage Zeit. In diesem Zeitraum wurde eine neue Verfassung geschrieben und eine demokratische Regierung etabliert. Japan lebte damals seit Jahrhunderten unter einem Feudalsystem mit einem Gott-gleichen Kaiser an der Spitze. Die neue Verfassung hat sich seit 62 Jahren bewährt und zu einem noch nie gesehenen Wohlstand geführt. Vorbild der Verfassung war die Verfassung der USA, geschrieben im Jahre 1787. Was immer man über die USA denkt oder sagen mag, diese Tatsache spricht für sich selber. Das englische parlamentarische System gibt es sogar noch länger, seit der Magna Carta von 1066. In diesen Ländern sieht man keine sich prügelnde Politiker, Einschüchterung von Wählern, Bestechungen und Wahlfälschungen, und wenn, dann nur in ganz seltenen Fällen. Sicher gab und gibt es politische Tumulte, derzeit vor allem wegen des Irakkrieges. Aber ein Militärputsch oder aufflackernde Anarchie deswegen ist in diesen Ländern undenkbar.
Es ist allerhöchste Zeit, dass die Mächtigen ihre Eigeninteressen zurückstellen und sich an dem ein Beispiel nehmen, was sich auch unter sehr schwierigen Umständen bewährt hat. Von der Aufnahme einer Staatsreligion in die Verfassung ist ebenso abzuraten wie von der Zementierung der militärischen Macht innerhalb der Staatsgewalt. Man braucht sich nur umzusehen, was mit Staaten geschehen ist, die sich daran nicht gehalten haben. Es ist an der Zeit, dass das thailändische Volk eine Verfassung bekommt, die wahrhaft für das Volk und die Menschen geschrieben ist.