Reiches Deutschland – armes Deutschland

Franz Schmid

Die Kluft zwischen Armen und Reichen wächst nicht nur in Ländern der dritten Welt, sondern auch in Industrieländern. Das reiche Deutschland nimmt innerhalb der Europäischen Union bei dieser Entwicklung eine Spitzenstellung ein. Waren früher vor allem ältere und allein stehende Frauen von Armut betroffen, sind es heute die Kinder. Die Studie „Kinderreport 2007“ des Deutschen Kinderhilfswerks spricht eine deutliche Sprache. War im Jahre 1965 noch jedes 75. Kind auf Sozialhilfe angewiesen, so war es im Jahre 2007 jedes sechste Kind, vor allem aus Einwandererfamilien. Ein drastisches Beispiel ist die deutsche Hauptstadt, die unter ihrer Schuldenlast ächzt. Der Anteil der Kinder, die von Sozialhilfe leben, beträgt über 30 Prozent. Insgesamt gelten in Berlin 15,2 Prozent der Bevölkerung als arm!
„Der Aufschwung ist bei der Bevölkerung angekommen“, meinte kürzlich die deutsche Bundeskanzlerin. Bei einem Großteil der Bevölkerung sind allerdings nur Steuererhöhungen und Preissteigerungen angekommen. Durch geringe Lohnsteigerungen bei gleichzeitig steigenden Preisen hat der Durchschnittsverdiener im Endeffekt weniger in der Tasche als vor zehn Jahren. Während ein kleiner Kreis von Besser- und Großverdienern kräftigen Einkommenszuwachs verzeichnen kann, ist inzwischen jeder achte Bundesbürger in die Armut abgerutscht, Tendenz steigend.
Nicht nur Vermögen lässt sich vererben, auch Armut wird häufig von einer Generation an die nächste durchgereicht. Fachleute sprechen inzwischen schon von „Sozialhilfe-Dynastien“. Damit sind Familien gemeint, in denen Armut auf eine oft jahrzehntelange Tradition zurückblicken kann. „Trotz des Wirtschaftsaufschwungs steigt die Zahl dieser Familien schnell an“, erklärte Jürgen Borchert, Richter am hessischen Landessozialgericht und Mitautor des „Kinderreports 2007“.
Borchert erklärt das Phänomen wie folgt: Familien, in denen der größte Teil des Einkommens aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, sind grundsätzlich aufstiegsorientiert und begrüßen Werte wie Fleiß, Pünktlichkeit und Bildung. In Familien, die vor allem von staatlicher Hilfe leben, geht Borchert zufolge diese Grundhaltung irgendwann verloren und wird infolgedessen auch dem eigenen Nachwuchs nicht übermittelt. „An diesem Punkt wird Armut erblich.“
Wer ist eigentlich arm? Das sozio-kulturelle Existenzminimum, das auf der Basis von Verbraucherbefragungen des Statistischen Bundesamtes durch die Bundesregierung festgelegt wird, liegt bei 7.356 Euro pro Jahr für eine erwachsene Einzelperson. Für ein Ehepaar ist es 12.240 Euro. Für ein Kind beträgt es 3.684 Euro. Menschen mit geringerem Einkommen gelten als arm. Viele Dauerarbeitslose bzw. berufsunfähige Menschen müssen mit einem Einkommen auskommen, das unter dem Existenzminimum liegt. In den Großstädten fällt auf, dass es immer mehr Bettler gibt, die Passanten um ein paar Cent angehen. Das soziale Netz hat Risse bekommen. Viele verdienen bei ihrer Arbeit weniger als ein Arbeitsloser. Hier liegt doch einiges schief. Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, hat es in einem Zeitungsinterview auf den Punkt gebracht: „Die Löhne sind einfach zu niedrig. Wer arbeitet, sollte mehr haben als ein Arbeitsloser. Aus Gründen der Gerechtigkeit muss da ein Abstand sein. Allerdings muss der Staat Arbeitslosengeldempfängern auch so viel geben, dass diese ihre Kinder anständig ernähren können.“
In Deutschland muss ein Umdenken stattfinden. Nicht auf Gewinnmarken und Profite sollte sich die Gesellschaft konzentrieren, sondern auf das Wohlergehen aller Bürger. Im reichen Deutschland sollte es keine armen Menschen geben!