Psycho-Beratung
 

Der Ärger mit dem Ärger

Wolfram Reda

Wie schön ist es, wenn ich einem meiner Feinde mal so richtig eins vor den Bug knallen kann! Einer meiner Freunde pflegt seine Feinde. Er hat sogar eine „Abschussliste“, auf der einige Namen besonders markiert sind: das sind die „Erzfeinde“. Er spricht darüber mit einem strahlenden Gesicht. Er fühlt sich stark. Er ist sich sicher: „Ich bin ok, und die meisten anderen sind blöd! Richtige Schurken gibt es darunter!“
So weit so gut. Unangenehm wird es, wenn er dahinter kommt, dass ich einige Kandidaten auf seiner Liste sympathisch finde und sogar mit ihnen zusammenarbeite. Dann versucht er nachzuweisen, wie unmöglich diese Menschen sind: unehrlich, doppelzüngig, voller Habgier und von Ehrgeiz zerfressen. Wie viel geistige Energie wird hier selbstgerecht verpulvert! Dabei ist mein Freund in Wirklichkeit harmlos: er tut niemandem etwas zu Leide, sondern er beschränkt durch seine Abschussliste nur seine Möglichkeiten: er kann die Chancen nicht nutzen, die einige dieser Menschen ihm bieten würden.
Schlimmer daran sind Zeitgenossen, die gegen ihre Feinde aktiv werden: Gerüchte in Umlauf bringen, Verleumdungen lancieren, Streit säen, Netzwerke der Verschwörung spinnen. Sie bringen wirklich Unheil über die Gemeinschaft. Am meisten aber schaden sie sich selbst: sie zerrütten ihre moralische Integrität und erweisen vor allem ihrer seelischen und körperlichen Gesundheit einen schlechten Dienst. Oft bleiben sie am Ende allein. Zeigt ihre gesteigerte Aggression nur, dass sie „auf dem letzten Loch pfeifen“?
Ihren größten Erfolg im Kampf gegen die Harmonie in der Gemeinschaft erreichen Unruhestifter, denen es gelingt, eine Gruppe von Menschen hinter sich zu bringen und ihren Aggressionen dienstbar zu machen. Solide Feindschaften stärken den Gruppenzusammenhalt. Wie schön kann man zusammen über die Unmoral und Bösartigkeit der anderen schimpfen. Prost! Wie herrlich lässt sich über ihre Dummheit lästern und lassen sich die eigenen Siege feiern. Prost! Wie phantasiereich kann man planen, was man alles machen könnte, um die Feinde endgültig aus dieser Welt zu vertreiben. Prost! Man ist ja auch nicht mehr so richtig verantwortlich; man ist ja nur Teil einer Gruppe. Und die Welt ist übersichtlich geteilt in schwarz und weiß: das sind meine Freunde, das sind unsere Feinde.
Ist die Welt oder auch nur die eigene Situation dadurch besser geworden? Die Älteren unter uns werden sich an einen Film erinnern, in dem – fern in Amerika – jugendliche Straßengangs miteinander kämpfen. Ergebnis: die Jugendlichen konnten nicht mehr sicher durch die Stadt gehen, denn sie konnten ja einem Feind begegnen. Oder zweien.
Die psychosomatische Forschung bestätigt: Wut und Frustration machen psychosomatische Leiden wahrscheinlich. Übersäuerter Magen. Gallenleiden. Wahrscheinlich ist Ärger mindestens ebenso schädlich wie Zigaretten. Wie Zigaretten erzeugen Ärger-Aktionen zunächst ein angenehmes Gefühl, die Schädigungen machen sich erst langfristig bemerkbar.
„Na was denn?“, fragt mich mein Freund und wedelt mit seiner Abschussliste. „Soll ich etwa meinen Ärger herunterschlucken und das sanfte Lamm spielen?“ Ärger hat eine eigenartige Dynamik. Buddhistische Lehrer zeigen, wie aus kleinen Gedanken große Gefühle werden. Sie können das in einem einfachen Experiment nachvollziehen: Denken Sie in Ruhe über eine kleine Kränkung nach, die ihnen irgendjemand zugefügt hat; am Ende hassen Sie diesen Schurken und haben ihn als Nummer eins auf Ihrer Abschussliste!
Was tun?
• Ärgern sie sich nicht. Kommen Sie herunter! Lassen Sie die Luft aus den großen Gefühlen! Es gibt keine Kränkungen, es gibt nur falsche Behauptungen. Und die kann man richtig stellen. Haben Sie Mitleid mit denen, von denen Sie absichtlich oder unabsichtlich verletzt wurden, denn sie sind auf dem falschen Weg, durch Nichtwissen geblendet. Wenn Sie wirklich von sich überzeugt sind, schaffen Sie es!
• Verschwenden Sie nicht Ihre Energien in hässlichen Hass-Aktionen. Finden Sie heraus: was sind die wesentlichen Punkte, die uns trennen? Bleiben Sie sachlich! Entscheiden Sie, ob es sich lohnt, einen Ausgleich zu suchen, oder, wenn es zu viel Trennendes gibt, sich still aus dem Weg zu gehen!
• Vor einigen Jahren stand ein Buchtitel auf den Bestsellerlisten mit dem programmatischen Titel: „Streiten verbindet“. Ihre „Feinde“ haben oft ein großes Potential. Das sind keine Schlappschwänze und Idioten, sonst brauchten sie sich nicht mit ihnen anzulegen. Wie stark wären Sie, wenn Sie sie mit ins Boot holen könnten! Geschicktes Taktieren sorgt für Erfolg. Wenn Ihre Feinde Sie in Ruhe lassen, ist das ein Sieg. Der größere Sieg aber ist es, wenn Sie Ihre „Feinde“ dazu bringen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und ihre Kräfte und Fähigkeiten mit Ihren zusammenzulegen. Wodurch ist Rom groß geworden?
Ja, aber: Der hat angefangen! – Na und? Wir sind doch nicht mehr im Sandkasten!
Ja, aber: Dem gehört mal ordentlich die Wahrheit gesagt. – Stimmt möglicherweise. Aber auch Wahrheiten können verletzend sein, vor allem, wenn man sie als Keule benutzt. Wenn Sie den anderen dazu bringen, dass er eine Verteidigungshaltung gegen Sie aufbaut, haben Sie Ihre Position schon verschlechtert.
Ja, aber!
Seien Sie Egoist! Denken Sie an Ihre Gesundheit! Vermeiden Sie Ärger! Gehen Sie mit sich selbst und mit anderen gekonnt um! Überlassen Sie es den anderen, sich daran zu freuen, wenn sie einem anderen eins reindonnern konnten! Wie viel schöner ist es, wenn Sie einen Ihrer Feinde für sich gewinnen können und ohne Magentabletten und Gallentropfen auskommen!