Die Volksseele und
der Preah Vihear Tempel
Franz Schmid
Eine früher wenig beachtete Tempelanlage bringt nun die Volksseele in Thailand
in Wallung und versetzt die Militärs in Kambodscha und Thailand in
Alarmbereitschaft. Es handelt sich um die Tempelanlage von Preah Vihear.
Manche Historiker vermuten, mit dem Bau der Anlage sei vor über tausend Jahren
begonnen worden. Sicher ist, dass nach der Regierungszeit des Khmer-Königs
Suryavarman II., der bis 1145 regierte, keine weiteren Ergänzungen oder
Reparaturen gemacht wurden. Der Bau verfiel und heute sind nur noch einige
Dreiecksgiebel und Türstürze vorhanden.
Der Tempel war nie für die Öffentlichkeit konzipiert worden, es war eine
Einsiedelei, die aller Wahrscheinlichkeit nur den Khmer-Königen vorbehalten war.
Heute benutzen ihn nur noch Menschen, die in der näheren Umgebung wohnen. Im
Laufe der Jahrhunderte wechselte des Öfteren in diesem Gebiet die staatliche
Zugehörigkeit, und seither dauern die Grenzstreitigkeiten an. In der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Kambodscha zu einem Vasallenstaat Thailands
(damals Siam). Die Abhängigkeit Kambodschas wird in einem Vertrag
festgeschrieben. In der Folgezeit kommt es zwischen Siam und der französischen
Kolonialmacht zu verschiedenen Verträgen und Pakten, die Kambodscha unter
französisches Protektorat stellen.
Anlass zu den heutigen Querelen ist jedoch ein Vertrag aus dem Jahre 1904, in
dem sich Siam verpflichtet, das Gebiet östlich des Mekong und das Land südlich
der Dongrek-Berge an die Franzosen zurückzugeben. Siam erhält im Gegenzug die
von den Franzosen besetzte Provinz Chanthaburi zurück. Damals wurde auch eine
Karte mit dem Grenzverlauf erstellt, die von Thailand niemals angefochten wurde.
Als 1954 die französischen Kolonialtruppen aus Kambodscha abzogen, besetzten
thailändische Truppen den Tempel, was zu einer internationalen Krise führte. Der
Internationale Gerichtshof in Den Haag bewertete 1962 die Verträge, die im 20.
Jahrhundert geschlossen wurden, und kam zu dem Entscheid, dass der Tempel zu
Kambodscha gehört. Damit war wegen der geographischen Lage des Tempels eine
Kuriosität geschaffen, da er zwar auf kambodschanischem Gebiet liegt, aber nur
über die thailändische Seite einigermaßen über eine verfallene Treppe begehbar
ist.
Als Zeichen des guten Willens verzichtete Kambodscha darauf, dass Besucher aus
Thailand ein gültiges Visum vorlegen müssen. Damit schien die Sache erledigt,
kaum jemand kümmerte sich weiterhin darum. Alle hätten in Ruhe und Frieden leben
können, wenn da nicht die UNESCO wäre, die die Tempelanlage zum Weltkulturerbe
kürte. Im Juni dieses Jahres stellte dann der inzwischen zurück getretene
thailändische Außenminister eine neue Karte des Gebiets von der UNESCO vor.
Da schlugen die Emotionen hoch! Ein kleiner Streifen thailändischen Landes sei
nun auf kambodschanischer Seite, hieß es! Die Regierung habe zur Erlangung
wirtschaftlicher Interessen (gemeint ist der ehemalige Ministerpräsident
Thaksin) diesen Landstreifen an Kambodscha abgetreten! Von Ausverkauf
thailändischer Interessen ist die Rede, und Premierminister Samak warf den
Verhandlungsführern von 1962 schlichtweg Versagen vor.
Ein Trick vieler Regierungen, die sich in innerpolitischen Schwierigkeiten
befinden, ist das Schüren nationaler Emotionen gegen vermeintlich unbotmäßige
Nachbarn. In Thailand gibt es wahrlich mehr Probleme als sich über ein kleines
verlassenes Stück Land mit ein paar Ruinen zu echauffieren. Die Liste ist lang:
die seit Jahren andauernden blutigen Unruhen im Süden, Flüchtlingsprobleme (vor
allem Hmong und Karenni) und die unzulängliche Sozialversicherung. Aber um des
Kaisers Bart lässt sich trefflich streiten.
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