Darüber spricht man nicht
Franz Schmidt
Zu den bemerkenswerten Eigenarten der thailändischen Mentalität gehört
das Streben nach Harmonie und Konfliktlosigkeit; Ausei-
nandersetzungen werden in der Regel verabscheut. Es gibt keine Streitkultur wie
es in westlichen Ländern der Fall ist. Das führt aber leider auch dazu, dass
Veränderungen in der Gesellschaft nur mühsam auf den Weg gebracht werden können.
Alles ist fest gefügt, und die Rangordnungen sind festgeschrieben. Über
Unangenehmes spricht man nicht, es wird verdrängt oder gar vertuscht. Eine
Redewendung, die treffend die thailändische Mentalität widerspiegelt, heißt „Mai
pen rai“ (macht nichts). Sie wird immer dann angewandt, wenn man einem Problem
aus dem Wege gehen möchte und macht das Leben leicht und angenehm. Dieser
Gemütszustand ist für Thais typisch. Man hat lieber Spaß als sich den Kopf über
irgendwelche Angelegenheit zu zerbrechen, die man sowieso nicht ändern kann.
Dieser auf den ersten Blick liebenswerte Charakterzug hat jedoch Schattenseiten.
Fehler werden selten zugegeben und Unannehmlichkeiten einfach ignoriert. Fällt
der Putzfrau beim Staubwischen die Blumenvase vom Fenstersims, ist
wahrscheinlich ein Windstoß Schuld. Schüler müssen meist ein verpatztes
Schuljahr nicht wiederholen, da ein „Sitzenbleiben“ auf den Lehrer zurückfallen
würde. In jeder Situation muss also das Gesicht gewahrt bleiben. Gegen jede Art
von persönlicher Kritik ist man überempfindlich, man äußert sie nicht direkt.
Konfrontationen werden umgangen, Diskussionen über unangenehme Themen vermieden
und man stiehlt sich mit einem Lächeln davon.
Tragisch wird diese Einstellung aber, wenn Behörden bei ihrer Aufsichtspflicht
versagen. Ein Beispiel ist der Brand im Bangkoker Nachtclub Santika zum
Jahreswechsel. Der Betreiber hatte eine mehr oder weniger dubiose
Betriebsgenehmigung, schenkte Alkohol an Jugendliche aus und war angeblich nicht
versichert. Erst durch Recherchen der Medien kam ans Tageslicht, dass
Unterhaltungsbetriebe dieser Art seit Jahr und Tag von den Behörden nicht auf
ihre Betriebsicherheit untersucht wurden, sicherlich ein Skandal. Knapp vierzehn
Tage später hat sich die zuständige Behörde dazu entschlossen, nun regelmäßige
Inspektionen in allen Unterhaltungsbetrieben im ganzen Land durchzuführen zu
lassen. Der zuständige Innenminister hat nun die Gouverneure aller Provinzen
aufgefordert, nach festgelegten Kriterien diese Betriebe einer Prüfung zu
unterziehen. Wie lange wohl? Kein Wort fiel aber darüber, warum dies bisher
nicht der Fall war. Die entsprechenden Verordnungen und Gesetze sind also nicht
angewandt worden. Es hätte dem Minister gut zu Gesicht gestanden, das Versagen
seiner Behörde zuzugeben. Doch leider tat er es nicht. Warum müssen erst
derartige Tragödien passieren, damit die Behörden tätig werden? Wir wissen es
nicht! Mai pen rai?
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