Die Prügelknaben
sind immer die Kleinen
Franz Schmid
Das Eisenbahnunglück am 5. Oktober in Hua Hin hat ein bezeichnendes Licht auf
die Mentalität der Eisenbahnverwaltung und den Umgang mit ihren Angestellten und
Kunden geworfen. Ein Zug, der auf dem Weg von Trang nach Bangkok war, entgleiste
beim Bahnhof Khao Tao, als er auf ein anderes Gleis mit hoher Geschwindigkeit
umgeleitet wurde, um einen Zusammenstoß mit einem Güterzug zu vermeiden. Es sind
sieben Tote und 88 Verletzte zu beklagen.
Ein Untersuchungsausschuss hat in der letzten Woche auch gleich die Schuldigen
festgemacht. Es sind der Zugführer, der Maschinist und ein Zugbegleiter. Die
drei Angestellten wurden sogleich von der Arbeit freigestellt. Das Vergehen des
Zugführers war – laut Untersuchungsbericht –, dass er während der Dienstzeit
Medikamente zur Behandlung seines Bluthochdrucks eingenommen hatte. Der
Maschinist hatte ein Radiosignal des Bahnhofs nicht gehört – allerdings hat er
Hörprobleme. Der Zugbegleiter hat nicht auf die Signale auf der Strecke
geachtet.
Der Zugführer soll entlassen werden, die beiden anderen Angestellten müssen mit
einer Lohnkürzung rechnen.
Doch die Argumentation der Eisenbahnverwaltung überzeugt nicht. Wo bleibt deren
Verantwortung für die Sicherheit der Passagiere, der Eisenbahnzüge im
Allgemeinen und die Fürsorge für die Angestellten? Der Zugführer und der
Maschinist waren gesundheitlich nicht fit. Wieso wurden ihnen diese
verantwortungsvollen Aufgaben übertragen?
Die Eisenbahnangestellten beklagen sich seit langem über außergewöhnlich lange
Arbeitszeiten und geringe Entlohnung. Der besagte Zugführer beispielsweise hatte
seit Wochen keinen freien Tag. Die Eisenbahnverwaltung hat hier aber ganz
schnell Prügelknaben gefunden. Kein Wort über veraltete Gleisanlagen, mangelhaft
gepflegte Lokomotiven und Waggons, und schon gar nicht eine Entschuldigung
gegenüber den Opfern und deren Angehörigen. Es ist einfach nicht fair, die
Schuld alleine auf das Personal des Unglückszugs zu schieben. Die eigenen
Versäumnisse werden totgeschwiegen.
Sinkende Steuereinnahmen haben allerorts zu einer Vernachlässigung der
Infrastruktur geführt. Wie es scheint, hat die Instandhaltung von öffentlichen
Verkehrsmitteln, Krankenhäusern, Elektroversorgungskabeln, Anlagen zur
Wasserversorgung, Sanitäranlagen, Autobahnen und Brücken bei den zuständigen
Stellen einen geringen Stellenwert. Darunter leidet die öffentliche Sicherheit.
Normalerweise haben Lokomotiven eine Sicherheitsfahrschaltung (Totmannknopf).
Wenn der Zugführer während der Fahrt handlungsunfähig wird, sorgt diese
Einrichtung dafür, dass eine Zwangsbremsung vollzogen wird. Ein Pedal oder ein
Drucktaster müssen dauernd gedrückt werden bzw. in bestimmten Abständen
losgelassen und erneut gedrückt werden. Das Prinzip kennt jeder, der einen
elektrischen Rasenmäher hat. In diesem Falle scheint es diese
Sicherheitsvorkehrung nicht gegeben zu haben oder sie war mangels Wartung nicht
in Betrieb. Darüber kann nur spekuliert werden.
Die Eisenbahnverwaltung kann aber nicht darauf spekulieren, dass der Fall
schnell in Vergessenheit gerät. Er hat in der Öffentlichkeit großes Augenmerk
auf die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs gelenkt. Mit Recht, denn hier geht es
um ein Prinzip, von dem nicht mit Entlassung oder Gehaltskürzung abgelenkt
werden kann.
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