Leben auf einem anderen Planeten. Westgrönland um 03.45 Uhr bei aufgehendem
Mond über den Eisbergen. Temperatur minus 42 Grad Celsius (Foto: Claus Rink)
Dr.
Claus Rink, Geowissenschaftler und Sonderkorrespondent der Pattaya Media
Group
Die
„Inuit“ (bedeutet „Mensch“) leben in den arktischen Gebieten
Alaskas, Kanadas und auf Grönland (landessprachlich Kallalit
Nunat, Land der Menschen). Sie stammen von mongolischen
Völkern ab, die in mehreren Wanderungsbewegungen, ausgelöst
durch kriegerische Ereignisse, nach Norden wanderten. Je
nach Siedlungsraum entwickelten die Inuit verschiedene
Bauformen. Das Iglu in Nordgrönland, Steinhütten in
Ostgrönland und Holzhütten aus Treibholz in Südgrönland. Die
Inuit waren ein Volk der Jäger und Sammler, lebten vom
Robbenfang.
Die
größten Probleme der heutigen Inuit ergeben sich durch den
rasanten Wandel der Gesellschaft, da die Inuit innerhalb
weniger Jahrzehnte von der Steinzeit in die Moderne
katapultiert wurden. Eine mögliche Folge der nicht erfolgten
Anpassung sind die höchsten Suizidraten der Welt unter
Jugendlichen (100 auf 100.000 Einwohner, zum Vergleich
Mitteleuropa 17 auf 100.000 und Thailand 7 auf 100.000).
In
Südgrönland haben sich die meisten Inuit längst an
Selbstbedienungsläden, Kinos, Fernsehgeräte und
mehrgeschossige Wohnblocks gewöhnt. Die Fernheizungen und
das elektrische Licht machen die Polarkälte und die Monate
arktischer Finsternis erträglich. Ihr Glaube, in dem
ursprünglich die Natur vorherrschte, hat sich dem
europäischen angenähert. Die Männer arbeiten auf
Fischfangschiffen, die Frauen in den Fischfabriken. Das
Kunsthandwerk bietet eine weitere Einnahmequelle. Zunehmend
gewinnt auch der Tourismus an Bedeutung. Vor allem die
südliche Westküste ist Nutznießer dieser Entwicklung.
Früher
war der Lebensmittelpunkt die Jagd und die enge
Verbundenheit von Mensch und Tier. Als Schamanen berufene
Männer und Frauen waren in der Lage, zwischen Menschen und
potenziell gefährlichen Geistwesen zu vermitteln, die
Krankheit, Hunger und Not verursachen konnten. Wissen,
Erfahrung und Werte wurden als reicher Schatz mündlicher
Überlieferungen weitergegeben. Begriffe wie Kajak, Iglu,
Anorak oder Parka sind weltweit bekannt, aber kaum einer
weiß, dass dies ein Beweis für den Erfindergeist der Inuit
ist.
Für
die Bewohner der Arktis ist der Nordrand der Welt Heimat,
deren oft reiche Ressourcen sie zu nutzen wussten. Mit ihrer
detaillierten Kenntnis des Naturraumes konnten sie selbst
extremer Kälte trotzen. Die Aufgaben von Männern und Frauen
waren speziell auf die Jahreszeiten abgestimmt. Inuit haben
gelernt, mit Veränderungen zu leben. Sie kooperierten über
die Jahrhunderte mit europäischen Walfängern, Pelzhändlern,
Missionaren und Siedlern, ohne ihre traditionelle
Lebensweise aufzugeben. Allerdings forderten eingeschleppte
Krankheiten zahlreiche Todesopfer. Maßnahmen der Regierungen,
eine sesshafte Lebensweise zu erzwingen, zerstörten die
kulturelle Eigenständigkeit.
Vieles
ist geändert worden, manches zum Vorteil der Inuit, manches
nicht. Der Mensch selbst lässt sich aber nicht so leicht
verändern, das braucht Geduld und Zeit. Was er kennt und
besitzt, will er nicht so leicht preisgeben, vor allem nicht,
wenn es mühsame und teuer gewonnene Erfahrungen sind.
Die
Inuit sind immer noch abhängig von der Natur, sie leben von
der Natur. Deswegen ist zum Beispiel das EU-Embargo für
Robbenprodukte aus Grönland komplett kontraproduktiv, und
eine solche Politik findet keine Freunde.
Das
Leben in Grönland ist hart: Die Regierung muss sich um
grassierende Armut, hohe Selbstmordraten und schlechte
Schulbildung kümmern und den extremen Alkoholismus bekämpfen.
Aber Grönland gehört zu den wenigen Ländern auf der Welt,
die man immer noch als Gottes Paradies ansehen kann - aber
auch dort gab es Kämpfe.
Wir
sollten versuchen, die Grönländer den Weg einschlagen zu
lassen, den sie begehen wollen, für sie ein Kraftakt
zwischen Medizinmännern und Erdölbohrungen. Vielleicht
schaffen sie den Spagat mit unserer Hilfe, es wäre die Sache
wert.
„Ein
Mensch, eine Lebensform ist nicht wie eine Münze, die
umgeschmolzen werden kann und doch den gleichen Wert behält“
(Knud Rasmussen 1879-1933)