Hans U. Luther
In
den sechziger Jahren war Berlin, die größte Stadt
Deutschlands, noch in vier Militärsektoren aufgeteilt:
die russische, amerikanische, britische und französische
Zone. Um die mangelhafte Kameradschaft unter den
alliierten Truppen zu verbessern, beschlossen die vier
Stadtkommandanten an einem weinseligen Abend, dass zu
diesem Zweck einmal im Jahr ein „Team Race“ gesegelt
werden sollte - die „Inter-Alliierte-Regatta“.
Segeln ist doch eine der schönsten Sportarten.
Aber leider mangelte es an genügend Teilnehmern. Alle
Jahre wieder erklärten die Russen feierlich, dass sie zu
ihrem großen Bedauern für nicht-politische
Veranstaltungen leider kein Budget hätten. Von den
Amerikanern war zu hören, sie hätten leider keine
kleinen Boote (Jollen). Traditionell schipperten sie
lieber in ihren „Bier- und Bratwurst Yachten“ über den
Wannsee. Aus diesem Grund blieben als Teilnehmer für das
Event nur noch die Briten und die Franzosen übrig. Ihre
jeweiligen Jacht-Klubs in Gatow und Tegel lösten sich
als Veranstalter der Regatta jedes Jahr ab.
Über die Jahre hin wurde die „Inter“ eine maritime
Wiederaufführung des legendären 100-jährigen Krieges
zwischen beiden Ländern. Die Waffe der Wahl war diesmal
aber die Enterprise, eine kleine Jollen-Klasse.
Sicherlich hätten die Franzosen lieber 420er oder 470er
Jollen gesegelt, mit denen sie traditionell besser
vertraut waren, aber die Briten hatten von diesen Booten
nicht genügend zur Verfügung.
Diese Geschichte soll berichten, wie und warum die
Franzosen das britische Team damals auf dem Tegeler See
mit großem Abstand geschlagen haben und von der
geglückten Revanche der Briten im folgenden Jahr.
Eigentlich war das britische Team recht professionell.
Es bestand hauptsächlich aus Angehörigen der Royal Air
Force. Diese hatten die Segler der Armee und der Marine
in den Ausscheidungs-Regatten bereits vernichtend
geschlagen.
Besonders die Matrosen der britischen Marine konnten mit
kleinen Schiffchen und wenig Wind nichts anfangen, denn
normalerweise waren große Schlachtkreuzer ihr häufigstes
Fortbewegungsmittel. Dagegen hatten die Piloten der
Luftwaffe das Talent, auch das letzte bisschen Wind auf
dem See noch zu ihrem Vorteil auszunutzen. Ich war als
einziger ausländischer „Söldner“ zu diesem Wettbewerb
nur gekommen, weil der britische Botschafter keine
Mitsegler mehr unter seinen eigenen Landsleuten finden
konnte und selbst seine sonst so loyale Ehefrau nicht
mehr mit ihm segeln wollte.
Das einzige Problem war, dass deutsche Staatsbürger
prinzipiell nicht Mitglied der alliierten Klubs sein
durften, weil dort der Konsum steuerfrei war. Die
Klubmitglieder hatten nämlich unbeschränkten Zugriff auf
steuerfreien Alkohol und Zigaretten, was zu jenen Zeiten
ein großer materieller Vorteil war.
Aus diesem Grund hatte ich den Befehl bekommen,
möglichst stumm zu bleiben oder Englisch mit meinem
schweren deutschen Akzent zu sprechen, damit wenigstens
die Franzosen mich für einen Schotten hielten. Natürlich
versuchten beide Seiten alles Mögliche, um den Regatta-Sieg
für ihre Seite zu sichern.
So
flog z. B. die britische Seite sechs grimmig-schauende
Dudelsackpfeifer extra aus Schottland ein. Im Gegenzug
holten die Franzosen ihr halbes Olympia-Team nach
Berlin. Dies versetzte die Briten in schiere Panik. Im
Vergleich dazu hatten die Dudelsackpfeifer keinen
besonderen Einfluss auf den Ausgang der Regatta. Im
Gegenteil: Ihre sentimentalen Klänge machte die
britische Niederlage nur noch viel trauriger.
Der nächste Trick im Repertoire der Franzosen war die
Veranstaltung einer großen Party am Vorabend der Tegeler
Regatta. Gerade war der Beaujolais Nouveau angekommen,
und dieser wurde nun in großen Mengen und gratis an die
nichts ahnenden Briten ausgeteilt. Kein Wunder, dass
diese ausgedehnte Rotwein-Orgie das britische Team sehr
nachhaltig schwächte, insbesondere da der französische
Regatta-Leiter den Beginn der Segel-Wettbewerbe auf den
nächsten (Sonntag-)Morgen um 8.30 Uhr festlegte.
Er
war dazu auch berechtigt, denn in ihrem Klub konnten die
Franzosen nach ihrem eigenen Ermessen ausrichten - ganz
ähnlich wie auch beim Amerika-Cup die ausrichtende Seite
die Richtlinien bestimmt.
Der nächste Schock für das britische Team kam schon am
frühen Morgen. Der französische Regatta-Leiter erklärte,
dass für diese Regatta diesmal besondere Kurs-Marken (Bojen)
entwickelt wären. Diese Wende-Marken waren nur ganze 30
cm klein. Obendrein waren sie auch noch lindgrün
gestrichen, um sich optimal ihrer Umgebung anzupassen.
Normalerweise sind Bojen 1,50 Meter hoch und in einem
leuchtenden Orange, damit man sie auch aus der Ferne gut
sehen und finden kann.
Natürlich protestierte der britische Team-Leader wütend
gegen den Einsatz dieser ungewöhnlichen „Mini-Bojen in
Tarnfarbe“. Doch der französische Regatta-Leiter
antwortete nonchalant: „Überhaupt kein Problem. Folgen
Sie doch einfach dem nächsten französischen Boot, wenn
sie die Wende-Marke nicht sehen können.“
Leider kann ich hier aus Mangel an Platz nicht alle
Details der Regatta wiedergeben. Hier nur mal ein
Beispiel: Einmal versuchten wir mit zwei britischen
Booten das führende französische Boot (Olympia
Silbermedaillen-Gewinner) in die Zange zu nehmen, um ihm
den Wind wegzunehmen. Bei dieser „Sandwich-Taktik“
hatten wir aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn
nun nahmen zwei weitere französische Boote uns von außen
in die Zange, also ein „Doppel-Sandwich“.
Allein diese dramatische Fehlkalkulation unserseits
brachte den Franzosen am Ende drei Punkte in diesem
Rennen und uns keinen einzigen. Nun, am Ende des Tages
hatten die französischen Segler alle Regatten mit großem
Abstand gewonnen. Doch die Revanche der Briten kam dann
im folgenden Jahr.
Diesmal besannen sich die Briten auf ihr koloniales Erbe.
Das übliche Buffet-Dinner im Gatower Jachtklub wurde
diesmal (und nicht aus Zufall) von einer nepalesischen
Gurkha-Kompanie zubereitet. Es bestand aus einem
unglaublich scharfen Ziegen-Curry, dubiosen
Linsengerichten, aber nur sehr wenig Reis.
Ganz wie erwartet hatten die französischen Segler, die
eine solche mega-exotische Kost nicht gewöhnt waren, am
nächsten Morgen einen sehr „fragilen“ Magen, und einige
von ihnen mussten sogar während der Regatta
unfreiwillige Boxen-Stopps machen. Aus diesem Grund
waren diesmal auch „Sandwiches“ gar nicht mehr nötig, um
die Regatta eindrucksvoll und mit viel Abstand zu
gewinnen. Von heute aus betrachtet und nach 42 Jahren:
Die Berliner Mauer fehlt mir nicht, die alliierten
Segelwettbewerbe aber sehr wohl.