Woraus gewinnt er seine Maßstäbe und Begrenzungen, die ihn letztlich zum
Menschen machen?
Wer dem Papst zugehört hat bei seinem Besuch in Deutschland, und jenen, die ihm
im Namen der Deutschen antworteten, hat eine Diskussion erlebt, die für die
ganze Gesellschaft bedeutsam ist.
Der Papst sorgt sich um den Verlust von Werten, Heimat und Geschichte, letztlich
von Menschlichkeit. Und damit hat er völlig recht. So wie die Entwicklung
derzeit verläuft, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, an den Finanzmärkten,
in der Umwelt, wird alles gnadenlos verbraucht und zerstört, um schnell und
gedankenlos zu leben. Ohne Werte drohen wir unsere menschliche Kultur an die
Beliebigkeit zu verlieren - und Europa nebenbei ohne die christlichen Werte auch
seine Identität.
Es war beschämend für jene, die seine Rede im Bundestag boykottierten, dass er
ausgerechnet die Menschenrechte, das Grundgesetz und die Ökologiebewegung als
beste Beispiele einer letztlich auf christlichen Werten basierenden Politik
nannte. Der reine Materialismus ist des Menschen Feind. Die alles beanspruchende
Religion aber auch. Der Islam versucht sich derzeit in vielen Ländern durch
Verengung auf sich selbst gegen die kulturelle Globalisierung zu stemmen, oft
mit Gewalt gegen die eigenen Menschen und gegen Andersgläubige. Der katholischen
Kirche war und ist eine Tendenz zur Ausgrenzung ebenfalls nicht fremd.
Bundespräsident Christian Wulff sagte: „Wie barmherzig geht die Kirche mit
Brüchen im Leben von Menschen um? Wie mit ihrer eigenen Spaltung?“
Die Demonstranten, sofern sie nicht nur von Hass erfüllt waren, fragten: „Muss
eine Religion nicht jede Liebe akzeptieren, die Liebe ist und nicht nur Sex oder
Geschäft? Auch die homosexuelle Liebe, auch die Liebe ihrer eigenen Priester?
Auf keine dieser Fragen ging der Papst ein. Er sprach zwar von der Natur des
Menschen und verlangte, dass der Mensch sie wiedererkennt.
Es liegt eine Tragik darin, dass ausgerechnet dieser in der Analyse so
weitsichtige Papst in der Praxis so wenig milde ist mit den Menschen, wie sie
sind und ihnen deshalb so wenig helfen kann. Nicht den Aids-Opfern in Afrika,
denen er das Kondom verbietet, nicht den schrumpfenden Gemeinden in Deutschland,
denen er keine verheirateten Priester zugestehen mag, nicht den anderen
christlichen Kirchen, weil er am Alleinvertretungsanspruch seiner Kirche
festhält. Und so kann Benedikt XVI. am Ende vielleicht auch nicht seiner Kirche
helfen, die er über die Stürme der Zeit zu retten versucht - und retten muss.“