Die unbekannten
Gesichter der Demenz
Richard Fellner
Matthias (Name geändert) war ein stets freundlicher und umgänglicher
Mann und nahezu regelmäßiger Gast bei diversen
Gesellschafts-Zusammenkünften. Im Laufe der Jahre, als er in Pattaya lebte,
hatte er eine Reihe von recht guten Freunden gefunden - und es war letztlich
auch einer jener Freunde, der mich kontaktierte, um professionellen Rat
einzuholen. Denn Matthias hatte sich vor etwa einem halben Jahr zu verändern
begonnen: er war anderen gegenüber nun häufig ruppig und unwirsch, und
besuchte immer seltener jene Treffen, an denen er früher regelmäßig
teilgenommen hatte. Sein Freund berichtete, dass Matthias sich seit einiger
Zeit ungewöhnlich stark isolieren würde, und seine Lebensgefährtin verliere
zunehmend die Freude, mit ihm zusammenzuleben, da er ihr gegenüber häufig
unfreundlich sei, nicht mehr so wie früher mithelfen würde, die Wohnung
sauber und ordentlich zu halten (vielmehr ganz im Gegenteil..) und vor
kurzem sogar mit jemandem beinahe eine Rauferei begonnen hätte: so würde sie
ihn gar nicht kennen, es mache ihr Angst.
Ich lud den Freund ein, gemeinsam mit Matthias vorbeizukommen. Im Laufe des
Gesprächs gewann ich zunehmend den Eindruck, dass wir es vermutlich mit der
„Geißel des Alters“ zu tun hatten: einem Abbau gewisser Hirnregionen,
konkret der Demenz. Dieser Eindruck wurde später durch eine von mir
angeregte ärztliche Diagnose bestätigt.
Warum aber Demenz - wenn Matthias doch gar nicht „vergesslich“ war?
Ein vielen Menschen unbekanntes, aber ganz häufiges Anfangssymptom der
Demenz ist eine psychologische Veränderung der Betroffenen: sie werden
reizbarer als früher, ja regelrecht streitsüchtig und eigenbrötlerisch.
Diese zunehmende Selbstisolation führt aber tragischerweise häufig dazu,
dass das Umfeld die zunehmenden Veränderungen gar nicht mitbekommt! Erst,
wenn weitere, unübersehbare Symptome hinzukommen (etwa regelmäßiges
Vergessen von Terminen, Sprachstörungen oder Wortverwechslungen,
Desorientierung wie z.B. das „Verirren“ in bislang bekannter Umgebung, das
„Steckenbleiben“ in Alltagsroutinen etc.) beginnen Vertraute zu ahnen, dass
vielleicht doch ein ernsthaftes Problem besteht. Eine ärztliche Untersuchung
anzuregen ist für das Umfeld jedoch ein schwieriger Drahtseilakt, da die
Betroffenen in der Regel vehement auf ihrer Normalität beharren und
einschlägige Bemühungen von Freunden ablehnen oder gar sabotieren.
Steht die Diagnose aber einmal fest, wird von den untersuchenden Medizinern
meist eine ausschließlich medikamentöse Behandlung eingeleitet.
Woher aber die Verbindung von Psychotherapie und Demenz? Nun, die erwähnten
psychischen Veränderungen bieten gleichzeitig auch einen „Hebel“, um die
Symptome der Demenzkranken nicht nur frühzeitig zu erkennen, sondern auch
gegen die progressiven (und leider auch heute immer noch unaufhaltsamen)
Symptome der Erkrankung zu arbeiten. Was nämlich Ärzte nie tun werden (da es
nicht zu ihren Aufgaben gehört), wofür aber ein Psychotherapeut, Berater
oder Sozialarbeiter trainiert ist, ist es, die Selbstkompetenz der
Erkrankten zu fördern und möglichst lange aufrechtzuerhalten. So können
wertvolle Monate, ja mitunter sogar Jahre gewonnen werden. Tagesabläufe
werden besprochen und reflektiert, die nächsten Tage aktiv geplant und nicht
zuletzt auch Vorsorge für jene Zeit getroffen, wenn das Leben alleine nicht
mehr zu meistern ist. Leider ist in diesem Bereich Thailand nicht auf dem
letzten Stand der Forschung: häufig werden die Betroffenen selbst an teuren
westlich orientierten Kliniken lediglich mit Medikamenten „abgespeist“ und
dann sich selbst bzw. ihren Freunden oder Angehörigen überlassen.
Begleitende psychotherapeutische, psychologische oder zumindest
professionelle soziale Unterstützung jedoch bleibt zumeist völlig aus -
übrigens gar nicht immer nur, weil den Ärzten das nötige Hintergrundwissen
fehlt, sondern natürlich ist professionelle Betreuung auch eine
Finanzierungsfrage. Besteht keine Krankenversicherung oder wurde für den
Demenzfall nicht vorgesorgt, dann ähnelt der Lebensabend so manches
ehemaligen “happy expats” gar nicht selten dem jener dementen alten Leute,
wie wir sie im ärmlichen Isan sehen können. Auch aus diesem Grunde möchte
ich anregen, gut vorzusorgen und sich auch im sonnigen Thailand rechtzeitig
untersuchen oder beraten zu lassen, wenn Körper oder Seele ungewohnte
Signale senden.
Anmerkung der Redaktion: Richard Fellner, anerkannter Psychotherapeut, wird
Pattaya Mitte August verlassen, um weitere Studien in Österreich zu
betreiben und sich auch dort wieder eine Praxis aufbauen. Allerdings hat er
vor, nach einigen Jahren wieder nach Pattaya zu ziehen. Richard wird auch
weiterhin noch einige Artikel für Pattaya Blatt verfassen. Wir danken ihm
für sein Engagement und wünschen ihm alles Gute für die Zukunft.
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